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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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stumm. Hollis war allein, stürzend.
    Sie waren alle allein. Ihre Stimmen waren gestorben wie ein Echo auf Gottes Worte, das noch lange in der sternbesäten Tiefe vibrierte. Der Kommandant flog zum Mond Stone mit dem Myrmidonenhaufen; dort Stimson; dort Applegate in Richtung Pluto; dort Smith und Turner und Underwood und all die anderen; die Scherben des Kaleidoskops, die so lange ein Muster mit eigenem Willen und Denken geformt hatten, schleuderten auseinander.
    Und ich? dachte Hollis. Was kann ich tun? Gibt es irgend etwas, das ich jetzt noch tun kann, um für ein schreckliches und leeres Leben zu büßen? Wenn ich doch nur eine gute Tat tun könnte um für die Bosheit zu sühnen, die ich in all diesen Jahren in mir häufte und von der ich nicht einmal wußte, daß sie in mir steckte! Aber es gibt niemanden mehr außer mir, und wie soll man ganz allein Gutes tun? Man kann nicht. Morgen abend werde ich in die Atmosphäre der Erde tauchen.
    Ich werde verbrennen, dachte er, und meine Asche wird über alle Kontinente verstreut werden. Ich werde nützlich sein. Zwar nur ein klein wenig, aber Asche ist Asche, und sie wird das Land mehren.
    Er fiel mit rasender Geschwindigkeit, wie ein Geschoß, wie ein Stein, wie ein eisernes Gewicht, und doch blieb er dabei objektiv, sachlich; er war weder traurig, noch glücklich, noch übermannte ihn ein anderes Gefühl; er wünschte nur, daß er noch eine gute Tat tun könnte, jetzt, da alles vorbei war, nur eine gute Tat, deren Wissen er mitnehmen konnte.
    Wenn ich in die Atmosphäre tauche, werde ich brennen wie ein Meteor.
    »Ob mich wohl jemand sehen wird?« sagte er.
    Der kleine Junge auf der Landstraße blickte hoch und schrie auf. »Schau, Mutter, schau! Eine Sternschnuppe!«
    Der grellweiße Stern fiel in den Abendhimmel von Illinois.
    »Wünsch dir was«, sagte seine Mutter. »Wünsch dir was.«
     
    Der illustrierte Mann drehte sich im Mondlicht herum. Er drehte sich wieder ... und wieder ... und wieder ...

Die Landstraße
     
     
    Der kühlende Nachmittagsregen war über das Tal hereingebrochen, strich über den Mais auf den geneigten Bergfeldern und klopfte leise auf das trockene Grasdach der Hütte. In der regnerischen Dunkelheit mahlte die Frau Mais zwischen Rachen Scheiben aus Lavagestein. Irgendwo in der feuchten Lichtlosigkeit schrie ein Baby.
    Hernando stand da und wartete auf das Ende des Regens, damit er wieder mit dem hölzernen Pflug auf das Feld gehen konnte. Unten kochte bräunlich der Fluß und trübte sich zusehends in seinem weiteren Verlauf. Die Betonlandstraße, ein anderer Strom, ruhte still; glänzend und leer streckte sich ihr Band. Seit einer Stunde war kein Auto mehr vorbeigekommen. Allein diese Tatsache war ungewöhnlich interessant. Jahrelang war kaum eine Stunde vergangen, in der nicht ein Wagen vorgefahren war und jemand rief: »Hallo, Sie da, dürfen wir Sie fotografieren?« Jemand mit einem klickenden Kasten und einem Geldstück in der Hand.
    Seine Frau sprach. »Irgend etwas stimmt nicht, Hernando.«
    »Sí. Die Straße. Etwas Großes ist geschehen. Etwas sehr Großes, das die Straße so leer gemacht hat.«
    Langsam und gleichmütig ging er aus der Hütte hinaus in den Regen, der über seine Schuhe aus geflochtenem Gras mit Sohlen aus dickem Reifengummi rann.
    Er war jetzt auf der Landstraße angekommen und blieb stehen, um auf die leisen Geräusche zu lauschen, die durch den Regen drangen.
    Und dann, plötzlich, wie auf ein Signal, kamen die Autos. Hunderte, so weit das Auge reichte, sausten und brausten vorbei an ihm, vorbei. Große, langgestreckte schwarze Wagen donnerten in nördlicher Richtung, nach den Vereinigten Staaten, vorbei, schnitten die Kurven mit zu hoher Geschwindigkeit. Und in den Gesichtern der dicht gedrängt in den Autos sitzenden Leute lag ein Ausdruck, der ihn bestürzt schweigen ließ. Er trat zurück, um die pausenlos hupenden Wagen vorbeizulassen. Er zählte sie, bis er müde wurde. Fünfhundert, tausend Wagen fuhren vorbei, und in allen Gesichtern lag jener unbestimmte Ausdruck.
    Schließlich kehrten Schweigen und Leere zurück. Die schnellen, niedrigen langen Sportwagen waren fort. In der Ferne hörte er das letzte Horn verklingen.
    Die Straße war wieder leer.
    Es hatte wie ein Leichenzug ausgesehen. Aber ein ungestümer dahinrasender, die Haare zu Berge stehen lassender, wahnwitzig zu irgendeiner Zeremonie nach Norden brausender Leichenzug. Warum?
    Jetzt, ganz allein, ein letzter Wagen. Etwas absolut Letztes und

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