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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Wachs bis auf das verkohlte Skelett geschmolzen war. Nur die Zähne waren weiß geblieben und glänzten wie ein fremdartiges weißes Armband in einer halbgeschlossenen schwarzen Faust.
    »Er hätte nicht aufspringen dürfen«, sagten alle fast wie aus einem Munde.
    Noch während sie neben dem Körper standen, begann er zu verschwinden, denn die Vegetation kroch von allen Seiten her über ihn; kleine Schlinggewächse, Ranken und Kriechpflanzen, und sogar Blumen erblühten für den Toten.
    In der Ferne zog das Gewitter auf blauweißen Stelzen ab.
     
    Sie überquerten einen Fluß und einen Bach und einen Strom und ein Dutzend weiterer Flüsse und Bäche und Ströme. Vor ihren Augen erschienen rauschend neue Flüsse, während bereits bestehende Flüsse ihren Lauf änderten – Flüsse in der Farbe von geschmolzenem Blei, Flüsse in der Farbe von Silber und Milch:
    Sie kamen an das Meer.
    Das einzige Meer. Es gab nur einen Kontinent auf der Venus. Das Land war dreitausend Meilen lang und tausend Meilen breit und rund um diese Insel erstreckte sich das Meer, das den gesamten, in Regen gehüllten Planeten bedeckte. Das Meer, das nur schwach gegen den bleichen Strand schlug ...
    »Dort hinunter.« Der Leutnant deutete mit dem Kopf gen Süden. »Ich bin sicher, daß in dieser Richtung zwei Sonnenkuppeln liegen.«
    »Warum hat man nicht gleich hundert mehr davon errichtet, wenn man schon einmal beim Bauen war?«
    »Inzwischen gibt es wohl schon hundertzwanzig Sonnenkuppeln, nicht wahr?«
    »Bis zum Ende des letzten Monats waren es sogar schon hundertsechsundzwanzig. Vor einem Jahr hat man auf der Erde versucht, eine Vorlage durch den Kongreß zu bringen, damit noch ein paar Dutzend mehr gebaut werden könnten, aber o nein, ihr wißt ja, wie so etwas ausläuft! Die lassen lieber ein paar Männer im Regen wahnsinnig werden.«
    Sie starrten nach Süden.
    Der Leutnant, Simmons und der dritte Mann, Pickard, gingen durch den Regen.
    Simmons sah sie zuerst. »Dort ist sie!«
    »Was ist dort?«
    »Die Sonnenkuppel!«
    Der Leutnant wischte sich das Wasser aus den Augen.
    In der Ferne sah man einen gelblichen Schimmer am Rande des Dschungels, an der Küste. Es war wirklich die Sonnenkuppel.
    Die Männer lächelten einander an.
    »Sieht aus, als ob Sie recht hatten, Leutnant.«
    »Glück.«
    »Mensch, der Anblick gibt mir wieder Mumm! Ein Hundesohn wer zuletzt dort ist!« Simmons fiel in Laufschritt. Die anderen machten automatisch mit, keuchend, ermattet, aber sie hielten Schritt.
    Sie rannten.
    Sie lachten. Und lachend erreichten sie den Eingang der Sonnenkuppel.
    Simmons riß die Tür weit auf. »Heda!« schrie er. »Bringt den Kaffee und die Brötchen!«
    Keine Antwort.
    Sie traten ein.
    Die Sonnenkuppel war leer und dunkel. Keine künstliche gelbe Sonne schwebte mit leisem Zischen hoch in der Mitte der blauen Decke. Kein Essen wartete. Es war kalt wie in einer Leichenhalle. Und durch tausend frische Löcher strömte Wasser von der Decke herab, fiel der Regen, durchnäßte die dicken Teppiche und die schweren modernen Möbel und spritzte von den Glastischen. Wie Moos überwucherte bereits der Dschungel den Raum, wuchs auf den Büchergestellen und auf den Betten. Der Regen schlug durch die Löcher und ergoß sich über die Gesichter der drei Männer.
    Pickard begann leise zu lachen.
    »Still, Pickard!«
    »Ihr Götter, seht, was hier auf uns wartet – kein Essen, keine Sonne, nichts! Die Venusier – natürlich! Die Venusier haben das getan!«
    Simmons nickte, während ihm der Regen über das Gesicht rann. Das Wasser strömte über sein silbriges Haar und durch seine weißen Augenbrauen. »Von Zeit zu Zeit steigen die Venusier aus dem Meer und greifen eine Sonnenkuppel an. Sie wissen, daß sie uns vernichten können, wenn sie die Sonnenkuppeln zerstören.«
    »Aber sind die Kuppeln nicht durch Feuerwaffen geschützt?«
    »Das stimmt.« Simmons trat beiseite an eine Stelle, die relativ trocken war. »Aber es ist schon fünf Jahre her, seit die Venusier einen Überfall versuchten. Die Verteidigung ist eingeschlafen. Sie haben diese Kuppel völlig überrascht.«
    »Wo sind die Leichen?«
    »Die Venusier haben sie alle mit ins Meer genommen.«
    »Ich möchte wetten, daß hier überhaupt nichts mehr zu essen ist.« Pickard lachte.
    Der Leutnant sah ihn stirnrunzelnd an und deutete mit dem Kopf nach ihm, so daß nur Simmons es sehen konnte. Simmons schüttelte den Kopf und ging nach hinten in eine Kammer an der Seite des ovalen

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