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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Mittelraumes. Durchnäßte Brote lagen in der Küche verstreut und Fleisch, auf dem fahlgrüner Schimmel wuchs. Regen drang durch hundert Löcher im Küchendach.
    »Großartig.« Der Leutnant blickte zu den Löchern hoch. »Ich glaube kaum, daß wir diese Löcher alle verstopfen und es uns hier gemütlich machen können.«
    »Ohne Essen, Sir?« schnaubte Simmons. »Wie ich gesehen habe, ist die Sonnenmaschine auseinandergerissen. Am sichersten ist es für uns, wenn wir uns bis zur nächsten Sonnenkuppel durchschlagen. Wie weit ist es von hier noch?«
    »Nicht weit. Wie ich mich erinnere, hat man hier zwei ziemlich nahe beieinander gebaut. Wenn wir hier warten, könnte vielleicht eine Rettungsmannschaft von der anderen Sonnenkuppel ...«
    »Die ist wahrscheinlich schon vor ein paar Tagen hier gewesen und wieder gegangen. In ungefähr sechs Monaten werden sie Leute herschicken und dieses Ding hier reparieren lassen. Darauf sollten wir lieber nicht warten.«
    »Also gut; wir wollen den Rest unserer Rationen essen und uns dann auf den Weg zur nächsten Sonnenkuppel machen.«
    Pickard begann zu sprechen: »Wenn der Regen bloß aufhören wollte, auf meinen Kopf zu hämmern, wenigstens für ein paar Minuten.« Er preßte die Hände über seinen Kopf. »Als ich noch in die Schule ging, saß einmal ein ganz gemeiner Schuft hinter mir, der mich dauernd kniff, immer wieder, alle fünf Minuten, den ganzen Tag lang. Wochen und Monate tat er das. Und eines Tages bin ich wohl auch von dieser dauernden Peinigung ein wenig wahnsinnig geworden; jedenfalls ergriff ich mein metallenes Dreieck, das ich gerade beim Unterricht im technischen Zeichnen verwendete, und brachte diesen Schweinehund fast um. Aber was kann ich jetzt tun? Wen kann ich jetzt schlagen? Wem sage ich jetzt, daß er aufhören soll, mich zu quälen?«
    »Gegen vier Uhr nachmittags werden wir die nächste Sonnenkuppel erreicht haben.«
    »Sonnenkuppel? Seht euch doch diese hier an! Was, wenn alle Sonnenkuppeln auf der Venus vernichtet sind? Was dann?«
    »Wir müssen uns eben auf unser Glück verlassen.«
    »Ich habe keine Lust mehr, auf Glück zu warten. Ich will nur ein Dach über dem Kopf und etwas Ruhe. Ich will in Ruhe gelassen werden.«
    »Das kannst du alles in acht Stunden haben wenn du aushältst.«
    »Macht euch keine Sorgen. Ich werd's schon aushalten.« Und Pickard lachte, ohne sie anzusehen.
     
    Sie machten sich wieder auf den Weg, gen Süden, die Küste entlang. Nach vier Stunden mußten sie ins Innere des Landes abschwenken, um einen Fluß zu umgehen, der eine Meile breit und so reißend war, daß man ihn nicht mit dem Boot überqueren konnte. Sie mußten sechs Meilen gehen, bis sie an eine Stelle kamen, wo der Fluß ganz plötzlich aus der Erde brach. Durch den Regen wanderten sie über festen Boden zur Küste zurück.
    »Ich muß schlafen«, sagte Pickard schließlich. Er ließ sich fallen. »Hab' seit vier Wochen nicht mehr geschlafen. Hab's versucht, konnte aber nicht. Schlaf' hier.«
    Der Himmel wurde dunkler. Die Venusnacht brach herein, sie war so völlig schwarz, daß es gefährlich war, sich zu bewegen. Simmons und der Leutnant ließen sich ebenfalls auf die Knie fallen, und der Leutnant sagte: »Also gut, woll'n wir's wieder mal versuchen.«
    Sie streckten sich lang aus, legten die Köpfe hoch, so daß ihnen das Wasser nicht in den Mund laufen konnte, und schlossen die Augen.
    Der Leutnant zuckte.
    Er schlief nicht.
    Pflanzen krochen über seinen Körper. Winzige Pflanzen, die ihn lagenweise überwucherten. Tropfen fielen und vereinigten sich mit anderen Tropfen und wurden zu kleinen Bächen, die über seinen Körper rannen; und während sie über seine Haut flossen, schlugen die winzigen Gewächse des Waldes Wurzeln in seinen Kleidern. Er spürte, wie die Schlingpflanzen sich an ihn klammerten und ein zweites Kleid über ihn woben, er spürte, wie kleine Knospen blühten und aufbrachen und zerblätterten, und weiter klopfte der Regen auf seinen Körper und auf seinen Kopf. In der Dunkelheit – denn die Vegetation phosphoreszierte in der Nacht – konnte er die Umrisse der anderen beiden Männer erkennen, wie gestürzte Baumstämme, über die sich ein samtener Teppich aus Gras und Blumen gelegt hatte.
    Plötzlich sprang er auf und begann, sich das Wasser vom Körper zu streifen. Tausend Hände berührten ihn, und er wollte sich nicht länger berühren lassen. Er konnte es nicht länger aushalten berührt zu werden. Er stolperte und streifte

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