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Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Verstand wach, Pater, das ist alles.«
    »Ihr Verstand jongliert dauernd, nicht wahr?«
    »Ja. Denn manchmal scheint die Kirche eine Vorliebe für jene starren Zirkusbilder zu entwickeln, bei denen sich der Vorhang hebt und die Menschen wie weiße, mit Zinkoxyd und Talkum bepuderte Statuen dastehen, eingefroren, ein Sinnbild abstrakter Schönheit. Wunderbar. Aber ich hoffe, für mich wird es immer Raum genug geben, zwischen den Statuen herumzusausen, meinen Sie nicht auch, Pater Stone?«
    Pater Stone war im Begriff, fortzugehen. »Ich glaube, wir sollten jetzt lieber schlafen gehen. In ein paar Stunden werden wir auffahren, um Ihre neuen Sünden zu sehen, Pater Peregrine.«
     
    Das Raumschiff stand startbereit.
    Nach ihrer Andacht in der frostigen Morgenkühle wanderten die Patres, viele auserlesene Gottesdiener aus New York, Chicago oder Los Angeles durch die Stadt zum Startplatz. Im Gehen erinnerte Pater Peregrine sich an die Worte des Bischofs.
    »Pater Peregrine«, hatte er gesagt, »Sie werden die Missionare anführen, und Pater Stone wird Ihnen zur Seite stehen. Meine Gründe, Sie zu dieser ernsten Aufgabe zu bestimmen, sind mir selbst beklagenswert dunkel; aber Ihr Pamphlet über die Sünde auf anderen Planeten ist nicht ungelesen geblieben, Pater. Sie sind ein beweglicher Mann. Und der Mars ist wie jene nie gereinigte Kammer, die wir jahrtausendelang vernachlässigt haben. Die Sünde hat sich dort angehäuft wie eine Antiquitätensammlung. Wenn wir die Tür zu jener Kammer öffnen, wird ihr Inhalt über uns hereinbrechen. Wir brauchen einen raschen, wendigen Mann – jemand, dessen Verstand auch Winkelzügen folgen kann. Jemand, der ein wenig zu dogmatisch veranlagt wäre, könnte daran zerbrechen. Ich habe das Gefühl, daß es an Ihnen abprallen wird. Pater, Sie übernehmen diese Aufgabe.«
    Der Bischof und die Patres knieten.
    Der Segen wurde gesprochen und etwas Weihwasser gegen das Raumschiff gesprenkelt.
    Während sie sich erhoben, sagte der Bischof zu ihnen: »Ich weiß, daß ihr mit Gott gehen werdet, um die Marsbewohner für den Empfang Seiner Wahrheit vorzubereiten. Ich wünsche euch allen eine nachdenkliche Reise.«
    Sie zogen an dem Bischof vorbei, zwanzig Männer in raschelnden Gewändern, um ihre Hände noch einmal in seine gütigen Hände zu legen, bevor sie in das geweihte Projektil kletterten.
    »Ich möchte gern wissen«, sagte Pater Peregrine im letzten Moment, »ob der Mars die Hölle ist? Vielleicht wartet er nur unsere Ankunft ab, um Feuer und Schwefel zu speien.«
    »Herr, verlasse uns nicht«, sagte Pater Stone.
    Das Raumschiff stieg empor.
     
    Der Austritt aus dem Weltraum war wie das Verlassen der schönsten und wunderbarsten Kathedrale, die sie je gesehen hatten. Der Anblick des Mars war wie der Anblick der Pflastersteine vor der Kirche, fünf Minuten nachdem man ganz in der Liebe Gottes aufgegangen war.
    Die Patres traten behutsam aus dem heißen Raumschiff und knieten auf dem Sand des Mars nieder, während Pater Peregrine ein Dankgebet sprach.
    »Herr, wir danken Dir für die Reise durch Deine Paläste. Erneuere unsere Augen, Herr, da wir ein neues Land erreicht haben. Erneuere unsere Ohren, da wir neue Geräusche und Töne hören werden. Und da wir neuen Sünden begegnen werden, bitten wir Dich, unsere Herzen zu läutern, zu festigen und zu reinigen. Amen.«
    Sie erhoben sich.
    Und vor ihnen lag der Mars, wie ein Meer, unter dessen Oberfläche sie nun wie in Taucheranzüge verkleidete Biologen auf der Suche nach neuen Lebensformen wandern mußten. Hier war das Land der verborgenen Sünde.
    Der Bürgermeister der Ersten Stadt kam ihnen mit ausgestreckten Händen zur Begrüßung entgegen.
    »Was kann ich für Sie tun, Pater Peregrine?«
    »Wir würden gern etwas über die Marsbewohner wissen. Denn nur, wenn wir über sie Bescheid wissen, können wir unsere Kirche vernünftig planen. Sind sie drei Meter groß? Dann werden wir entsprechende Türen für sie bauen. Ist ihre Haut blau oder rot oder grün? Wir müssen das wissen, wenn wir menschliche Figuren in die Buntglasfenster setzen, damit wir die richtige Hautfarbe wählen. Sind sie schwer? Dann werden wir stabile Bänke für sie bauen.«
    »Pater«, sagte der Bürgermeister, »ich glaube, Sie brauchen sich über die Marsbewohner keine Gedanken zu machen. Es gibt zwei Rassen. Die eine ist so gut wie ausgestorben. Ein paar davon leben in Verstecken. Und die zweite Rasse – nun ja, man kann sie kaum menschlich nennen.«
    »Oh?«

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