Der illustrierte Mann
Perse?« während er durch ein Schott in eine Kammer stieg.
Ein weißgekleideter Chirurg trat von einer Leiche zurück. »Ich verstehe das einfach nicht.«
»Woran ist Perse gestorben?«
»Wir wissen es nicht, Kapitän. Es war weder sein Herz, noch sein Gehirn, noch ein Schock. Er ist einfach – gestorben.«
Der Kommandant griff nach dem Handgelenk des Arztes, das sich in eine zischende Schlange verwandelte und ihn biß. Der Kommandant zuckte mit keiner Wimper. »Nehmen Sie sich in acht. Auch Ihr Puls schlägt zu schnell.«
Der Arzt nickte. »Perse klagte über Schmerzen – Nadelstiche sagte er – in seinen Handgelenken und Beinen. Sagte, er fühle sich wie schmelzendes Wachs. Er fiel zu Boden. Ich half ihm auf. Er weinte wie ein Kind. Sagte, eine silberne Nadel durchbohre sein Herz. Er starb. Hier liegt er. Wir können die Autopsie wiederholen. Alles ist physisch vollkommen normal.«
»Das ist unmöglich! Er muß an irgend etwas gestorben sein!«
Der Kommandant schritt zu einer Luke. Er roch nach Menthol und Jod, und seine Hände mit manikürten und polierten Nägeln dufteten nach grüner Seife. Seine Zähne waren frisch geputzt und seine Ohren und Wangen vom Schrubben leicht gerötet. Seine Uniform strahlte hell wie frisches Salz, und seine Stiefel glänzten wie schwarze Spiegel. Selbst sein Atem war klar und frisch und rein. Sein kurzgeschorenes, krauses Haar roch scharf nach Alkohol. Nicht der geringste Fleck war an ihm zu entdecken. Er glich einem neuen Instrument, geschliffen und gerichtet, noch warm von der Gußform.
Seine Mannschaft stammte aus dem gleichen Guß. Sie waren wie teure, gut funktionierende und gut geölte Spielzeuge.
Der Kommandant beobachtete den Mars, der jetzt schnell größer wurde.
»In einer Stunde werden wir auf diesem verfluchten Planeten landen. Smith, haben Sie vielleicht auch Fledermäuse gesehen oder irgendwelche Alpträume gehabt?«
»Ja, Sir. In den Wochen, bevor unser Raumschiff von New York startete. Weiße Ratten bissen mir in den Hals und tranken mein Blut. Ich habe nichts davon erzählt, weil ich fürchtete, Sie würden mich nicht auf diese Reise mitnehmen.«
»Nur keine Angst«, seufzte der Kommandant, »auch ich hatte Träume. Fünfzig Jahre lang, solange ich lebe, habe ich nicht einen einzigen Traum gehabt, bis zu der Woche vor unserem Start von der Erde. Und dann träumte ich jede Nacht, ich sei ein weißer Wolf. Umzingelt auf einem schneebedeckten Hügel. Mit einer silbernen Kugel totgeschossen. Mit einem Pfahl in meinem Herzen vergraben.« Er deutete mit dem Kopf zum Mars hin. »Glauben Sie, Smith, daß sie von unserem Kommen wissen?«
»Wir wissen nicht einmal, ob es Lebewesen auf dem Mars gibt, Sir.«
»Nein? Vor acht Wochen, vor unserem Start schon, begannen sie uns abzuschrecken. Gerade haben sie Perse und Reynolds getötet. Gestern ließen sie Grenville blind werden. Wie? Ich weiß es nicht. Fledermäuse, Nadeln, Alpträume – Männer, die ohne jeden Grund sterben. Früher hätte man das Hexerei genannt. Aber wir schreiben jetzt das Jahr 2120, Smith. Wir sind aufgeklärte Menschen. All das kann einfach nicht passieren. Und doch geschieht es! Wer sie auch sein mögen, mit ihren Nadeln und Fledermäusen, sie werden versuchen, uns alle umzubringen.« Mit einem Ruck drehte er sich um. »Smith, holen Sie diese Bücher aus meinem Archiv. Ich brauche sie, wenn wir landen.«
Zweihundert Bücher stapelte er auf dem Boden auf.
»Danke, Smith. Haben Sie einen Blick darauf geworfen? Glauben Sie, daß ich geistesgestört bin? Vielleicht. Ist nur so eine wilde Vermutung von mir. Habe diese Bücher noch im letzten Moment aus dem Literarhistorischen Museum kommen lassen. Wegen meiner Träume. Zwanzig Nächte lang wurde ich erstochen, abgeschlachtet, war eine kreischende, auf einen Operationstisch gebundene Fledermaus, verrottete in einem Sarg unter der Erde – entsetzliche, grauenhafte Träume. Unsere ganze Mannschaft träumte von Hexen und Werwölfen, Vampiren und Gespenstern, Dingen, von denen sie überhaupt nichts wissen konnten. Warum nicht? Weil die Bücher über solche gräßlichen Themen vor hundert Jahren vernichtet wurden. Durch gesetzlichen Beschluß. Niemand durfte diese grausigen Bücher mehr besitzen. Die Bände, die Sie hier sehen, sind die letzten Exemplare, die für historische Zwecke in versiegelten Museumskammern aufbewahrt wurden.«
Smith bückte sich, um die verstaubten Titel lesen zu können.
» Tales of Mystery and Imagination , von
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