Der illustrierte Mann
Leonard Mark.
Schweigend standen sie da und sahen sich an. Schließlich ergriff Saul zitternd die Hand des anderen Ausgestoßenen, drückte und schüttelte sie wieder und wieder und sagte: »Oh, ich bin so glücklich, daß du gekommen bist. Du kannst nicht ermessen, wie glücklich ich bin!«
Sie tranken starken, aromatischen braunen Kaffee aus ihren Blechbechern.
Es war Mittagszeit. Den ganzen, warmen Vormittag über hatten sie sich unterhalten.
»Und woher hast du diese Fähigkeit?« fragte Saul, über seinen Becher hinweg Leonard Mark unverwandt in die Augen blickend.
»Ich bin einfach damit geboren worden«, antwortete Mark, in seinen Kaffee sehend. »Meine Mutter hat die atomare Vernichtung von London überlebt. Zehn Monate später wurde ich geboren. Ich weiß nicht recht, wie man meine Fähigkeit nennen soll. Telepathie und Gedankenübertragung, nehme ich an. Jedenfalls war das meine Nummer, mit der ich um die ganze Erde gereist bin. Leonard Mark, der Mann mit dem Wundergehirn, stand auf den Plakaten. Hab' eine Menge damit verdient. Die meisten Leute hielten mich für einen Scharlatan. Ich allein wußte, daß mein Können echt war, ließ es aber niemand wissen. Es war sicherer, wenn es nicht zu sehr bekannt wurde. Nun ja, ein paar meiner besten Freunde kannten meine wahren Fähigkeiten. Immerhin besitze ich eine Menge Talente, die mir hier auf dem Mars gut zustatten kommen werden.«
»Du hast mich jedenfalls höllisch erschreckt«, sagte Saul, seinen Becher starr vor sich hinhaltend. »Als New York so aus dem Boden hervorschoß, zweifelte ich an meinem Verstand.«
»Es ist eine Art Hypnose, die alle Sinnesorgane gleichzeitig ergreift. Was würdest du denn jetzt am liebsten tun wollen?«
Saul stellte seinen Becher hin. Er bemühte sich, seine Hände ganz ruhig zu halten. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Am liebsten würde ich, wie so oft in meiner Kindheit in Mellin Town, Illinois in einem Flüßchen schwimmen. Am liebsten würde ich splitternackt durch das Wasser gleiten.«
»Gut«, sagte Leonard Mark und bewegte kaum merklich seinen Kopf.
Saul fiel mit geschlossenen Augen rücklings in den Sand.
Leonard Mark blieb sitzen und beobachtete ihn.
Saul lag ausgestreckt auf dem Sand. Von Zeit zu Zeit bewegten sich seine Hände, zuckten aufgeregt hin und her. Sein Mund öffnete sich wie in Trance, er entspannte sich, und Laute drangen aus seiner Kehle.
Sauls Arme begannen sich langsam und gleichmäßig zu bewegen, vor, seitlich und zurück – vor, seitlich und zurück; er hatte den Kopf auf die Seite gelegt, atmete durch die Nase ein und durch den geöffneten Mund wieder aus, seine Arme strichen langsam durch die warme Luft, über den gelben Sand, sein Körper wälzte sich langsam herum.
Leonard Mark trank gelassen seinen Kaffee aus. Während er trank, ließ er kein Auge von dem sich bewegenden, flüsternde Laute ausstoßenden Saul auf dem Boden des Toten Meeres.
»Fertig«, sagte Leonard Mark.
Saul richtete sich auf und rieb sein Gesicht.
Nach einer kleinen Weile begann er Leonard Mark zu erzählen: »Ich sah das Flüßchen. Ich rannte am Ufer entlang und streifte meine Kleider ab«, sagte er atemlos und mit noch ungläubigem Lächeln. »Und dann sprang ich hinein und schwamm umher! «
»Das freut mich«, meinte Leonard Mark.
»Hier!« Saul griff in seine Tasche und zog seine letzte Rippe Schokolade hervor. »Das ist für dich.«
»Was soll das?« Leonard Mark blickte auf die Gabe. »Schokolade? Unsinn, ich mache das nicht für Bezahlung. Ich tue es, weil es dich glücklich macht. Steck das in deine Tasche zurück, bevor ich es in eine Klapperschlange verwandle und sie dich beißt.«
»Ich danke dir, ich danke dir!« Saul steckte die Schokolade weg. »Du glaubst nicht, wie herrlich das Wasser war.« Er griff nach der Kaffeekanne. »Noch einen Schluck?«
Während er den Kaffee eingoß, schloß Saul einen Moment lang die Augen.
Hier habe ich Sokrates, dachte er; Sokrates und Plato und Nietzsche und Schopenhauer. Nach seinem Wissen zu beurteilen, ist dieser Mann ein Genie. Wenn man seine Gabe dazurechnet, ist er einfach unglaublich! Und wenn ich dann an die langen schönen Tage und kühlen Nächte denke, in denen wir uns unterhalten werden ... das Jahr wird bei weitem nicht so schlimm werden. Nicht halb so schlimm.
Wir werden in Griechenland sein, dachte er. In Athen. Und wenn wir die römischen Schriftsteller diskutieren, können wir ganz nach Wunsch, uns in Rom aufhalten. Wir
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