Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der illustrierte Mann

Der illustrierte Mann

Titel: Der illustrierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
werden im Parthenon und auf der Akropolis stehen. Wir werden nicht nur darüber sprechen, sondern wir werden am Schauplatz unserer Gespräche sein. Das alles kann dieser Mann bewirken. Er besitzt die Macht dazu.
    Und wenn ich ihn ruhig und ernsthaft darum bitte, wird dieser Mann dann vielleicht auch das Wesen von Schopenhauer und Darwin und Bergson und all den anderen Geistesgrößen früherer Jahrhunderte annehmen können ...? Ja, warum eigentlich nicht? Mit Nietzsche höchstpersönlich, mit Plato selbst sich zu unterhalten ...!
    Nur eine Kleinigkeit paßte nicht in seine Überlegungen. Er fühlte den Boden unter seinen Füßen rutschen.
    Die anderen Männer. Die anderen Kranken am Strande dieses Toten Meeres.
    In der Ferne bewegten sich Gestalten, kamen auf sie zu. Sie hatten das Raumschiff aufblitzen, landen, einen Passagier absetzen sehen. Mit quälender Langsamkeit näherten sie sich jetzt, um den Neuankömmling zu begrüßen.
    Saul fröstelte. »Hör mal, Mark«, sagte er, »ich glaube, wir ziehen uns lieber in die Berge zurück.«
    »Warum?«
    »Siehst du die Männer dort kommen? Einige sind verrückt.«
    »Wirklich?«
    »Ja.«
    »Ist das eine der Folgen der Isolierung und Einsamkeit hier?«
    »Ja, genau. Wir wollen uns lieber auf den Weg machen.«
    »Sie sehen nicht besonders gefährlich aus. Sie bewegen sich langsam.«
    »Du würdest staunen.«
    Mark sah Saul an. »Du zitterst ja. Warum?«
    »Wir haben keine Zeit zur Unterhaltung«, erwiderte Saul, rasch aufstehend. »Komm mit. Begreifst du denn nicht was geschehen wird, wenn sie deine Fähigkeiten entdeckt haben? Sie werden um dich kämpfen. Sie werden einander – und dich – umbringen, nur um dich allein zu besitzen.«
    »Oh, ich gehöre aber niemanden«, sagte Leonard Mark. Er blickte Saul an. »Nein. Nicht einmal dir.«
    Saul warf den Kopf zur Seite. »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.«
    »Jetzt auch nicht?« Mark lachte.
    »Wir haben keine Zeit zum Streiten«, antwortete Saul mit blitzenden Augen und geröteten Wangen. »Komm jetzt!«
    »Ich will aber nicht. Ich bleibe hier auf diesem Fleck sitzen, bis jene Männer da sind. Du bist mir ein wenig zu herrschsüchtig. Mein Leben gehört mir allein.«
    Saul merkte, wie eine gefährliche Erbitterung ihn übermannte. Sein Gesicht begann sich zu verzerren. »Du hast gehört , was ich gesagt habe.«
    »Wie schnell du dich doch aus einem Freund in einen Feind verwandelt hast«, bemerkte Mark.
    Saul schlug nach ihm. Es war ein rascher, sauber gezielter Hieb.
    Mark duckte sich rasch zur Seite. »Nein«, sagte er lachend, »das wirst du nicht tun!«
    Sie standen mitten auf dem Times Square. Autos brausten hupend auf sie zu, Gebäude schossen blitzartig in den blauen Himmel.
    »Das ist Betrug!« schrie Saul, taumelnd unter dem Druck des geistigen Bildes. »Um Gottes willen, Mark, hör auf! Die Männer kommen. Sie werden dich töten!«
    Mark saß auf dem Bordstein und lachte über seinen Scherz. »Laß sie nur kommen. Ich stecke sie alle in den Sack!«
    New York lenkte Saul ab. Es sollte ihn ablenken – ihn fesseln mit seiner sündhaften Schönheit, nachdem er so viele Monate fern davon gelebt hatte. Anstatt Mark anzugreifen, konnte er nur dastehen und die fremdartige und doch vertraute Szene in sich hineintrinken.
    Er schloß die Augen. »Nein!« Er stürzte vornüber und riß Mark mit sich. Hupen gellten in seinen Ohren. Bremsen kreischten und packten. Mit einem heftigen Schlag traf er Marks Kinn.
    Stille.
    Mark lag auf dem trockenen Meeresgrund.
    Saul lud sich den bewußtlosen Mann auf die Arme und begann unbeholfen zu laufen.
    New York war verschwunden. Nur die weite Stille des Toten Meeres umfing sie. Die Männer näherten sich von allen Seiten. Mit seiner kostbaren Last hetzte er den Bergen entgegen, mit New York, dem grünen Land, den frühlingsbunten Wiesen und den alten Freunden in seinen Armen.
     
    Nacht erfüllte die Höhle. Der Wind strich hindurch, zauste das kleine Feuer und zerstreute die Asche.
    Mark öffnete die Augen. Er war mit Stricken gebunden und gegen die trockene Wand gelehnt, mit dem Gesicht zum Feuer.
    Saul legte ein neues Stück Holz auf das Feuer; dann und wann warf er mit katzenartiger Nervosität einen Blick zum Höhleneingang.
    »Du bist ein Narr.«
    Saul zuckte zusammen.
    »Ja«, sagte Mark, »du bist ein Narr. Sie werden uns finden. Und wenn sie sechs Monate lang suchen müssen, sie werden uns finden. Sie haben New York gesehen, wie ein Wunder, und uns beide in seiner

Weitere Kostenlose Bücher