Der im Dunkeln wacht - Roman
Malmborg-Eriksson betrat die Nordea-Filiale am Axel Dahlströms Torg. Hier ist allerdings nur von einer Fünfundvierzigjährigen die Rede. Sie drängte sich an der Schlange vorbei und verlangte ihren Kundenberater zu sprechen. Das war also der arme Tony. Wie alle anderen einen Termin zu vereinbaren kam für sie also offensichtlich nicht in Frage. Sie wollte mit Tony reden, und zwar dalli! Damit sie sich abregte, nahm Tony sie zu seinem Schreibtisch mit. Dort verlangte Angelica ein Darlehen von drei Millionen Kronen, und zwar sofort. Als Sicherheit bot sie das Haus in Änggården an. Das war jedoch nicht möglich, da es bereits bis zum Dachfirst beliehen war. Da flippte sie aus! Sie begann zu schreien und warf mit Sachen um sich. Sie mussten die Polizei rufen, um sie loszuwerden.«
»Wurde Anklage erhoben?«
»Nein. Ihre psychische Verfassung war so schlecht, dass sie in eine geschlossene Abteilung kam. Das war ihr erster Besuch dort.«
Irene nickte, ohne etwas zu sagen. Diese Familie war wirklich auseinandergebrochen. Hätte sie überdauert, wenn ihre Kollegen und sie die Wahrheit über den Brand im Jahre 1979 herausgefunden hätten? Wären Frej und Angelica dann womöglich nie psychisch erkrankt? Sie wusste die Antwort.
Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Wahrheit sie eingeholt hätte. Sie war wie ein Eitergeschwür in ihnen immer größer geworden. Früher oder später wäre es aufgebrochen. Irene hatte das in ihren Jahren als Mordermittlerin oft erlebt.
Die Wahrheit, die von allen gefürchtet wurde. Man scheute keine Mühe, sie zu verbergen. Man beging dafür sogar Morde. Aber das half nichts. Die Wahrheit kam schließlich immer an den Tag. Erst dann konnten die Opfer Genugtuung erfahren.
Du fühlst dich im zweiten Stock sicher. Du glaubst, dass niemand sieht, was du tust. Aber ich sehe es. Und ich bin sehr enttäuscht von dir. Es ist dir nie eingefallen, aus dem Fenster auf den hohen Felsen vor dem Haus zu schauen. Dort sitze ich mit dem Feldstecher und wache über dich. Die dichten Büsche beschützen mich. Niemand hat mich gesehen. Die Dunkelheit ist mein Freund. Und wandere ich auch im Tale des Todes, so fürchte ich nichts Böses.
Ich bin der, der im Dunkeln wacht.
Wir hatten eine Abmachung, du und ich. Du hast sie gebrochen und nicht ich. Dann musst du auch bereit sein, deine Strafe anzunehmen.
Die Strafe ist der Tod.
F risch geduscht, vom leichten Duft eines guten Rasierwassers umgeben und ein munteres Funkeln in den braunen Augen wirkte Matti Berggren wie die Verkörperung einer Reklame für ein Multivitaminpräparat. Dieser Eindruck beruhte zum Teil vermutlich auch darauf, dass sich Irene wie das genaue Gegenteil fühlte. Sie konnte eine ordentliche Vitamindosis vertragen. Da gerade kein Multivitaminsaft in Aussicht stand, trank sie einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Sofort wurde ihr etwas wohler.
»Wir haben Angelica Malmborg-Erikssons Fingerabdrücke auf den manipulierten Bremsen von Katarina Huss’ Fahrrad sichergestellt und auf dem Pflanzenkübel, der durch das Fenster geworfen wurde. Damit ist Frau Malmborg-Eriksson überführt«, sagte Matti fröhlich und nickte Irene aufmunternd zu.
Diese versuchte sein Nicken mit einem Lächeln zu beantworten, brachte aber nur eine müde Grimasse zustande. Das ist alles zuviel auf einmal, mir fehlt dafür die Kraft, dachte sie. Obwohl sie in ihren eigenen Betten im Reihenhaus geschlafen hatten, fühlte sie sich vollkommen erschöpft. Das war eine verspätete Reaktion. Man war einfach nicht mehr so flexibel, und plötzlich geschah alles auf einmal … Unter Aufbietung aller Kräfte schob sie ihre eigenen Gedanken beiseite und versuchte sich auf die Unterhaltung ihrer Kollegen zu konzentrieren.
»Gut, dass wir zumindest die Stalkerin von Familie Huss gefasst haben. Diese Woche kann Angelica noch nicht vernommen werden, sagen die Ärzte. Aber dort, wo sie sich jetzt befindet,
kann sie schließlich nichts anrichten. Wir konzentrieren uns also wieder ganz auf den Paketmörder «, sagte Tommy.
Er leitete in Abwesenheit von Kommissarin Thylqvist das Dezernat. Diese befand sich immer noch in Stockholm, hatte jedoch mitgeteilt, dass sie mit einem späten Zug nach Göteborg zurückkehren werde. Morgen kommen wir wieder in den Genuss ihrer säuerlichen Miene, dachte Irene müde.
Plötzlich wurde sie sich ihrer Gedanken bewusst. Was soll der Unsinn? Nur negative Gedanken, obwohl ich eigentlich froh sein müsste! Neuer Hund, neue
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