Der im Dunkeln wacht - Roman
Nachrichten um sechs Uhr oder die um halb acht? Oder war es vielleicht Aktuell um neun?«, unterbrach ihn Irene.
»Sechs Uhr kann es nicht gewesen sein, weil ich dann zu Abend esse. Es muss halb acht gewesen sein.«
Er strahlte förmlich, als er sich daran erinnerte, wann er die Nachrichten gesehen hatte. Wahrscheinlich hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits einiges intus, dachte Irene. Sie fragte:
»War es zu Anfang der Sendung oder am Schluss?«
Die zufriedene Miene verschwand. Er grübelte. Schließlich schaute er auf und sah Irene direkt an. Mit Nachdruck sagte er:
»In der Mitte, würde ich sagen. Definitiv in der Mitte. Ja!«
Also etwa um Viertel vor acht.
Das konnte stimmen. In der Tasche, die Thylqvist hatte fallen lassen, befanden sich Trainingskleider. Sie war kurz vor zehn nach Hause gekommen, war also vermutlich gegen halb acht zum Training gefahren.
Der Paketmörder war mit größter Wahrscheinlichkeit kurz darauf eingetroffen. Hatte er bei ihr geklingelt? Wahrscheinlich nicht, da er sich nicht zu erkennen geben wollte. Die Blume sollte an der Tür hängen, wenn die Frau nach Hause kam. So war das bei seinen bisherigen Opfern gewesen. Das Wahrscheinlichste war, dass er das Haus bewacht und gesehen hatte, wie Efva zum Training gefahren war. Er hatte im Schutz der Dunkelheit davorgestanden. Wo?
Sie gingen wieder die Treppe hinunter in den zweiten Stock. Die Kriminaltechniker hatten soeben ihre Arbeit beendet. Åhlén
hielt eine große Papiertüte mit der verpackten Blume in die Luft.
»Die bringe ich jetzt ins Labor, dann wird sie morgen geöffnet«, sagte er und sah sie durch seine runden, flaschenbodendicken Brillengläser an. Er war der Älteste der Kriminaltechniker und brachte es auf fast ebenso viele Dienstjahre wie Svante Malm.
»Du glaubst nicht, dass ihr da heute Nacht schon mal einen Blick drauf werfen könntet?«, fragte Tommy vorsichtig.
»Nein. Wir sind auf dem Parkplatz noch nicht richtig fertig. Außerdem gibt es eine Leiche in Kortedala. Aufgeschnittene Pulsadern in der Badewanne. Also wahrscheinlich ein Selbstmord. Wir müssen so schnell wie möglich dorthin.«
Seiner Stimme war anzuhören, dass es keinerlei Verhandlungsspielraum gab.
Als die Kriminaltechniker gegangen waren, zog Tommy den Schlüsselbund hervor und schloss die Tür auf. Er warf Irene einen raschen Blick zu, ehe sie die Wohnung betraten. Das dürfen wir eigentlich nicht, dachte sie. Aber sie hatten im Laufe der Jahre schon etliche regelwidrige Dinge getan. Und er war ihr Chef und trug somit die Verantwortung. Ohne weiteres Zögern folgte sie ihm und schloss die Tür.
Die Diele war hoch und mit hellgrauem Granit gefliest. Eine Wand bestand aus verspiegelten Schränken mit Schiebetüren. Geradeaus lag die Küche, daneben gelangte man geradewegs in ein großes Wohnzimmer. Irene betrat es, nachdem sie sich die Schuhe ausgezogen hatte. Der Boden bestand aus hellem Eichenparkett. An den weißen Wänden hingen zwei sehr große Ölgemälde. Das eine war abstrakt, weiße Felder auf blauem Grund. Das andere zeigte, stilisiert, ein Segelschiff auf einem stürmischen Meer. Die beiden Bilder wurden von verschiedenen Blautönen dominiert. Die Couchgarnitur, weißes Leder, stand auf einem schönen blauen Teppich. Im Bücherregal befanden
sich ein riesiger Flachbildfernseher mit großen Lautsprechern, unzählige DVDs und ein CD-Player der Marke Bang & Olufsen. Irene sah sich die Filme an. Ältere amerikanische Spielfilme und Actionfilme. Einige Filme schienen auch einen erotischen Inhalt zu haben. Bei den wenigen Büchern handelte es sich um Taschenbücher, Bestseller.
Irene sah sich gründlich im Zimmer um. Modern. Geschmackvoll. Teuer. Und ein wenig unpersönlich. Keine Erbstücke, keine Erinnerungsstücke. Nichts ließ Rückschlüsse auf Efva Thylqvist als Person zu. Oder vielleicht war das ja doch möglich, und Irene konnte einfach nur die Zeichen nicht deuten. Sie ging zum Balkon und öffnete die Tür. Ein Eckbalkon. Ziemlich klein, aber die Aussicht war atemberaubend.
Im Erdgeschoss befanden sich Läden, deswegen lagen selbst die unteren Wohnungen relativ hoch. Die schwarze Wasserfläche vor dem Haus spiegelte die Lichter der Stadt in einem sich ständig verändernden Glitzern wider. Auf der anderen Seite des Göta Älv ließ sich die Silhouette der Innenstadt ausmachen, die von der angestrahlten Masthuggskirche dominiert wurde. Richtung Meer fiel der Blick auf die lange Älvborgsbrücke. Das nähergelegene
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