Der im Dunkeln wacht - Roman
realisierte Irene, dass es ihr sicherlich anzusehen war, wie dumm sie sich vorkam. Ihre Kollegen konnten ein Lächeln nur mit Mühe unterdrücken. Energisch drückte sie wieder auf die Klingel. Lange und wütend.
»Hören Sie auf«, hörte sie schließlich Daniels Stimme.
»Lassen Sie mich rein. Sonst hole ich Verstärkung und lasse wie im Film die Tür einschlagen«, sagte Irene mit eiskalter Stimme.
Die beiden Uniformierten wechselten einen erstaunten Blick, sagten aber nichts. Nach einer weiteren langen Stille summte der Türöffner. Daniel hatte es sich anders überlegt.
Im Fahrstuhl unterhielten sie sich nicht. Die beiden in Uniform vermieden es, Irene anzusehen.
Damit zu drohen, die Tür wie im Film einzuschlagen, war vielleicht nicht der klügste Einfall gewesen, aber es hatte gewirkt.
Sie mussten auch an der Wohnungstür wieder klingeln und erneut warten, bevor er sich herabließ, ihnen zu öffnen. Irene konnte seine hellen Augen im Türspalt sehen.
»Daniel, ich bin im Auftrag der Polizeileitung hier«, sagte sie barsch.
Jetzt galt es, rasch zu improvisieren. Sie hatte gemerkt, dass Daniel auf scharfe Befehle und große Worte reagierte. Argumente führten zu nichts. Ein weiteres Mal wechselten ihre Kollegen einen erstaunten Blick. Polizeileitung?
»Warum?«
»Heute Abend ist wieder etwas vorgefallen. Deswegen wollen wir mit Ihnen reden.«
Die Tür wurde keinen Millimeter weiter geöffnet.
»Und die Polizisten?«, fauchte Daniel.
»Sie haben mich gefahren«, sagte Irene rasch.
»Warum?«
»Weil das … der Polizeichef so angeordnet hat!«
Sie schaute die beiden anderen nicht an, sondern fuhr mit Nachdruck fort:
»Lass uns jetzt rein, Daniel, damit wir es hinter uns bringen können!«
Irene hörte, wie über ihnen vorsichtig eine Tür geöffnet wurde, aber sie hörte keine Schritte auf dem Treppenabsatz. Die Nachbarn hatten natürlich die lauten Stimmen gehört.
Langsam glitt die Tür ein paar Zentimeter auf. Daniel stand schweigend da und fixierte sie mit seinen ausdruckslosen Augen. Irene starrte zurück. Jetzt war sie wütend und dachte gar nicht daran nachzugeben. Er begegnete ihrem Blick, ohne zu blinzeln. Irene brach das Duell ab, indem sie sagte:
»Jetzt gehen wir rein und unterhalten uns eine Weile. Je schneller wir hereinkommen dürfen, desto schneller sind wir auch wieder weg.«
»Gehen Sie jetzt«, sagte Daniel.
Es war ganz klar, dass er sie nicht in der Wohnung haben wollte. Hatte er etwas zu verbergen? Andererseits war es vielleicht verständlich, dass er an einem späten Sonntagabend nicht sonderlich begeistert über einen Besuch der Polizei war. Irene packte die Kante der Tür und zog sie einfach auf. Die beiden Kollegen betraten die Wohnung, und sie folgte ihnen. Daniel sah sich gezwungen, in die Diele zurückzuweichen. Irene warf als Erstes einen Blick ins Badezimmer. Alles war unverändert, aber die Spülmittelflasche stand nicht mehr auf dem Rand der Badewanne. Dennoch roch es immer noch nach Yes. Auf dem Fußboden lagen ein paar schmutzige Unterhosen und Strümpfe.
Sie schoben Daniel vor sich her ins Wohnzimmer. Auf dem Weg schaute Irene in sämtliche Räume. Die Küche war unaufgeräumt wie beim vorigen Mal, Daniels Schlafzimmer ebenfalls. In dem Zimmer, von dem Irene annahm, dass es das Schlafzimmer der Großmutter gewesen war, war alles unverändert. Das galt auch für das Wohnzimmer: alles wie beim letzten Mal.
Nirgends das geringste Anzeichen für geplante weitere Verpackungsaktionen. Falls Daniel Börjesson Kommissarin Thylqvist überfallen hatte und sie hatte ermorden wollen, hätte er die Folie und alles andere vorher bereitgelegt haben müssen. In der Wohnung war davon aber nicht das mindeste zu entdecken, stellte Irene mutlos fest.
»Wo waren Sie heute Abend?«, fragte sie mit möglichst neutraler Stimme. Nach einer säuerlichen Stille antwortete Daniel: »Nirgends.«
»Nirgends? Was meinen Sie damit? Haben Sie das Haus irgendwann verlassen?«, fuhr Irene fort.
Mürrisch schüttelte er den Kopf.
»Sie waren also den ganzen Abend hier?«
Ein kurzes Nicken und wieder dieses seltsame Achselzucken.
»Und was haben Sie gemacht?«
Irene hörte selbst, wie resigniert ihre Stimme klang.
»Das da«, sagte Daniel und deutete auf den Couchtisch.
Dort lag eine angefangene Patience.
Irene stellte noch ein paar weitere Fragen, die Daniel einsilbig oder überhaupt nicht beantwortete. Er war unerschütterlich. Er sei den ganzen Abend zu Hause gewesen und habe
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