Der im Dunkeln wacht - Roman
Qualität als die Bilder, die der Paketmörder bislang an seine Opfer geschickt hatte. In der einen Ecke befand sich das Datum. Das Foto war vier Tage zuvor aufgenommen worden.
»Letzten Donnerstag. Da geht sie zum Training … wenn sie nicht verreist ist«, sagte Tommy mit undeutlicher Stimme.
Irene konnte schon Jonnys Kommentar hören: »Als Training kann man das auch bezeichnen, ha ha.« Sie war froh, dass er das Foto noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Ein Glück, dass Tommy Jonny am Vorabend ins Krankenhaus abbeordert hatte, sonst hätte er sich ihr vermutlich nicht anvertraut, ihr nicht von seiner Beziehung zu Efva Thylqvist erzählt und davon, dass diese vorüber sei.
Aber wie war das wirklich abgelaufen? Bislang kannte Irene ja
nur Tommys Version. Die Frau auf dem Foto war zweifellos Efva, aber der Mann war definitiv nicht Tommy. Thomas Englund war einer ihrer höchsten Chefs.
Tommy musste einiges erklären. In diesem Falle stand er zweifellos auf der Liste der Verdächtigen.
Eifersucht war ein starkes und häufiges Mordmotiv. Und wenn jemand den perfekten Nachahmungstäter abgab, dann ohne Zweifel ein Polizeibeamter und Ermittler.
Irene wurde aus ihren Überlegungen gerissen, als Sara anrief und bestätigte, die angegebene Bibelstelle verweise auf dasselbe Zitat wie bei Ingela Svensson.
»›Ich bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern‹, und so weiter«, sagte Tommy seufzend.
»Sie tat nicht, was er wollte. Sie hatte einen anderen. Deswegen musste sie bestraft werden«, sagte Irene.
Sie beobachtete Tommy genau, um zu sehen, wie er auf diese Behauptung reagieren würde. Dieser nickte aber nur müde und wirkte vollkommen erschöpft. Wie sie ihn in dieser elenden Verfassung vor sich sah, konnte sie sich nicht vorstellen, dass er etwas mit dem Überfall zu tun hatte. Oder plagten ihn abgründigere Gefühle? Ärgerte ihn, dass es ihm nicht geglückt war, Efva zu töten? Hatte er etwa Angst, dass sie sich an etwas erinnern könnte, wenn sie wieder zu sich kam? Vielleicht war es ja auch nur ein geschickter Schachzug gewesen, sich Irene anzuvertrauen, falls irgendwann herausgekommen wäre, dass Efva und er eine längere Beziehung gehabt hatten.
Irene realisierte, dass sie einstweilen die Einzige war, die wusste, dass Tommy und Efva eine Affäre gehabt hatten. Und die Einzige, die wusste, dass Tommy ein Motiv hatte. Sie wollte einstweilen jedoch niemandem von ihrem Verdacht erzählen. Falls sich später herausstellte, dass es sich wirklich um einen Nachahmungstäter handelte, war immer noch Zeit zu handeln. Dann
würde sie Tommy mit ihrem Verdacht konfrontieren müssen. Als sie das Labor verließen, sagte Irene:
»Ich schlage vor, dass ich Thomas Englund vernehme. Du wirst beim Dezernat gebraucht. Schließlich bist du während Efvas Abwesenheit der Chef.«
»Ja. Es ist das Beste, wenn ich Thomas erst einmal einige Tage nicht treffe. Das war wirklich ein Schock.«
Er sprach so leise, dass sie die Worte kaum hörte.
»Du hattest keine Ahnung … von den beiden?«, flüsterte Irene.
»Nein. Sie sagte, sie brauche eine Pause. Ich fragte, warum, und da antwortete sie, es werde ihr zuviel. Sie wolle keine feste Beziehung. Wir … wir stritten ein paar Tage lang … und dann machten wir Schluss.«
Irene sah, wie schwer es ihm fiel, von der Trennung zu sprechen. Verschmäht. Abserviert. Eifersüchtig. Starke Gefühle, die in Gewalt gipfeln konnten. Auch in einem Mord. Irene wurde nicht wohler bei diesen Gedanken. Aber sie durfte sie nicht außer Acht lassen. Sie wusste Dinge, die für die Ermittlung relevant waren. Im Augenblick stellten sie allerdings eher eine Belastung dar.
Fast beiläufig fragte sie:
»Tommy, was hast du gestern Abend gemacht?«
Er blieb stehen und sah sie erstaunt an. Als ihm klar wurde, warum sie ihm diese Frage stellte, verfinsterte sich seine Miene.
»Die Kinder waren zum Essen bei mir, alle drei. Gegen acht sind sie wieder wieder zu Agneta gefahren, Martin natürlich nach Johanneberg. Danach habe ich ferngesehen, bis das Telefon klingelte. Den Rest kennst du«, antwortete er unfreundlich.
Tommys ältester Sohn Martin war Irenes Patenkind. In den letzten Jahren hatten sie sich kaum noch getroffen. Martin studierte im dritten Semester an der Journalistenhochschule. Er
hatte eben erst eine recht zentral gelegene Studentenwohnung ergattert, nachdem er vorher zur Untermiete gewohnt hatte. Tommys Töchter
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