Der im Dunkeln wacht - Roman
Patience gelegt. Irene konnte nichts entdecken, was dieser Behauptung widersprach.
Schweigend fuhren die drei Beamten mit dem Fahrstuhl nach unten.
I rene verfuhr sich in einem neuen Kreisverkehr und musste ein Stück zurückfahren. Als sie das letzte Mal in dieser Gegend unterwegs gewesen war, hatte es diesen Kreisverkehr noch nicht gegeben. Es war nicht leicht, sich in einem neuen Stadtteil, der immer noch im Wachstum begriffen war, zurechtzufinden. Aber Norra Älvstranden war keine Betonwüste, sondern einer der exklusivsten Stadtteile Göteborgs. Vor allen Dingen war er der neueste. Vor nicht einmal zehn Jahren hatte hier noch kein einziges Wohnhaus gestanden. Die stillgelegte Werft und die Hafenanlagen hatten öde und verlassen dagelegen. Heute lag hier ein neuer Stadtteil mit etwa fünfzehntausend Einwohnern mit Büros, Schulen, Universitätsinstituten, Geschäften und Restaurants. Alle diese Menschen fuhren mit Autos, Bussen und Fähren in die Innenstadt und zurück.
Efva Thylqvist wohnte am Ende der Barken Beatrices Gata ganz nahe am Wasser. Irene stellte ihren Wagen ab und ging die letzten Meter bis zur Absperrung zu Fuß. Die Kriminaltechniker krochen auf der Erde herum und sicherten Spuren. Der silberne Metalliclack von Efvas neuem Audi funkelte in dem starken Licht der Scheinwerfer. Auf den Balkons standen einige Nachbarn und blickten auf den Tatort hinunter. Jonny tauchte aus dem Dunkel außerhalb des unbarmherzigen Flutlichtkegels auf. Als er Irene begrüßte, hielt in einiger Entfernung ein Auto mit quietschenden Reifen. Es war kaum zum Stehen gekommen, da stürzte der stellvertretende Kommissar Tommy Persson aus dem Wagen. Im Dauerlauf kam er auf Irene und Jonny zu.
»Habt ihr ihn erwischt?«, rief er.
Er klang so atemlos, als sei er weit gerannt.
»Nein. Die ersten Straßensperren wurden erst etwa zwanzig Minuten nach der Tat errichtet. Da war er schon über alle Berge. Ehrlich gesagt, hätte das Netz auch trotz Straßensperren viele Löcher aufgewiesen, durch die unser Paketfreund hätte verschwinden können. Es war gerade Schichtwechsel und dauerte seine Zeit, bis alle Straßensperren errichtet waren«, antwortete Jonny.
Tommy nickte nur. Sein müdes Gesicht schien zusätzliche Falten bekommen zu haben. Wir nähern uns den Fünfzig schneller, als wir einsehen wollen, dachte Irene düster. Der einzige Trost war, dass Tommy ein Jahr älter war als sie und den Zenit des Lebens früher überschreiten würde. Sie nahm sich zusammen und sagte:
»Ich habe Daniel Börjesson überprüft. Er behauptet, den ganzen Abend Patience gelegt zu haben. Vor dem Haus stand auch kein Auto mit warmer Kühlerhaube. Ich war zusammen mit zwei uniformierten Kollegen in seiner Wohnung. Nichts deutete darauf hin, dass er die Wohnung verlassen oder geplant hatte, ein weiteres Opfer in Folie zu verpacken.«
Tommy klimperte nervös mit einem Schlüsselbund in seiner Jackentasche, schien das aber selbst nicht zu merken. Er wandte sich an Jonny:
»Was sagen die Zeugen?«
»Nichts, was wir nicht schon wüssten. Ein Rentnerpaar, das mit dem Hund draußen war. Der Mann sieht schlecht, und die Frau erinnert sich nur, dass es ein Auto in einer dunklen Farbe war.«
»Wenn er so schlecht sieht, woher wusste er dann, dass Efva überfallen wurde?«, wollte Tommy wissen und runzelte die Stirn.
»Sie schrie«, antwortete Jonny knapp.
Tommy sah nachdenklich aus. Plötzlich sah er Jonny an und fragte:
»Ist irgendjemand bei Efva im Krankenhaus?«
»Im Krankenhaus? Nein … ich glaube nicht.«
»Dann will ich, dass du sofort hinfährst. Sobald sie aufwacht, musst du versuchen, sie zu befragen. Vielleicht kann sie uns ja etwas über den Täter sagen.«
»Okay«, murmelte Jonny widerwillig.
Er trottete zu seinem Wagen und ließ ihn an. Irene und Tommy sahen schweigend zu, wie die Rücklichter in der Dunkelheit verschwanden.
Im Schein der Straßenlaterne sah Irene, wie Tommy die Lippen zusammenpresste. Er wirkte gequält, und Irene ahnte, dass das nicht nur an den vagen Zeugenaussagen lag. Natürlich war er zutiefst persönlich betroffen. Efva war viel mehr als nur seine Chefin. Als hätte er ihre Gedanken gespürt, zog Tommy den Schlüsselbund aus der Tasche. Er wählte einen Schlüssel aus und sagte:
»Ich habe einen Schlüssel zu Efvas Wohnung.«
Irene war dankbar, dass die Dunkelheit ihren Gesichtsausdruck verbarg, denn sie wusste nicht, wie sie mit dieser Neuigkeit umgehen sollte.
Tommy und Efva waren ein Paar. Sie
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