Der im Dunkeln wacht - Roman
hatten Schlüssel zu der Wohnung des Partners. Wohnten sie auch zusammen?
Wohl kaum, denn er war mit dem eigenen Auto gekommen, wahrscheinlich von seinem Reihenhaus in Jonsered.
»Wir sollten hinaufgehen und nachschauen, ob es dort irgendwelche Spuren des Paketmörders gibt … ob er Kontakt zu ihr aufgenommen hat oder so«, fuhr Tommy fort.
Er sah Irene nicht an, sondern drehte sich einfach um und ging energisch auf die Haustüre zu. Ohne weitere Umschweife sperrte Tommy die Tür auf und ließ Irene eintreten.
»Bitte schön«, sagte er leichthin und zwang sich zu einem Lächeln.
Irene unternahm einen tapferen Versuch, dieses Lächeln zu
erwidern, aber das wollte ihr nicht so recht gelingen. Das hier fällt uns beiden schwer, dachte sie, aber es ist mutig von ihm, sich die Blöße zu geben, dachte sie. Er schenkt mir damit wirklich ein großes Vertrauen. Von unserer alten Freundschaft ist doch noch einiges übrig. Sie nahmen den Fahrstuhl, und Tommy drückte den Knopf zum zweiten Obergeschoss. Während der kurzen Fahrt schwiegen beide. Sie traten aus dem Lift und blieben dann wie angewurzelt stehen.
Auf einer der Türen stand auf einem Metallschild »E. Thylqvist«. An der Türklinke hing eine Blume, in Zeitungspapier verpackt. Die Blüte einer weißen Chrysantheme schaute unten hervor. Um das Zeitungspapier war ein Stück von einer Wäscheleine gewickelt, die ihnen sehr bekannt vorkam. Die Enden waren zu Schlaufen verknotet, an denen die Blume hing.
Tommy rief sofort die Spurensicherung. Er sagte einfach, die Haustür sei nicht ganz geschlossen gewesen, um zu erklären, wie Irene und er ins Haus gekommen waren. Die Kriminaltechniker fotografierten die Tür und suchten nach Fingerabdrücken.
»Wir müssen mit der Wohnung warten«, flüsterte Tommy Irene zu.
Sie nickte. Das Erstaunen über sein plötzliches Vertrauen erschwerte es ihr, die richtigen Worte zu finden. Wahrscheinlich hätte sie ohnehin nichts Passendes zu sagen gewusst. Sie fühlte sich außerordentlich verwirrt.
Tommy und Irene befragten alle Nachbarn im Haus. Es war noch niemand zu Bett gegangen. Den ganzen Abend hatte großer Aufruhr geherrscht.
Im obersten Stockwerk wohnte ein älterer Herr mit distinguiertem Aussehen. Er hatte dichtes weißes Haar und trug einen dunkelblauen, mit einem Monogramm versehenen Morgenmantel aus Seide. Er war hochrot im Gesicht und fuchtelte mit dem Zeigefinger vor Irenes Gesicht. Sie registrierte seine Whiskyfahne, als er sie anbrüllte:
»Ich habe ein Vermögen bezahlt, um hier im Alter unbesorgt leben zu können. Es stört mich, wenn es plötzlich von Polizisten in meinem Haus wimmelt, die eine Menge idiotische Fragen stellen!«
Noch bevor Irene etwas sagen konnte, hörte sie Tommys Stimme hinter sich:
»Seien Sie froh, dass Sie nicht in Hammarkullen wohnen, dann wäre vielleicht überhaupt niemand gekommen.«
Tommys Kommentar überraschte Irene. Er war im Umgang mit der Öffentlichkeit für gewöhnlich immer sehr diplomatisch. Diese Reaktion zeigte deutlich, dass er aus dem Gleichgewicht geraten war. Das Gesicht des Betrunkenen rötete sich noch mehr, er brachte aber keinen Ton über die Lippen. Sein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch im Aquarium. Irene nutzte die Gelegenheit, um die nächste Frage zu stellen.
»Sie wissen sicher, dass eine Frau vor Ihrem Haus überfallen worden ist. Gewisse Anhaltspunkte lassen darauf schließen, dass der Täter im Haus gewesen ist. Vermutlich irgendwann im Laufe des Abends. Haben Sie etwas gesehen, das mit diesem Vorfall zu tun haben könnte?«
Der Mann starrte sie mit seinen blutunterlaufenen Augen missvergnügt an und sagte dann:
»Vielleicht.«
Er presste die Lippen zusammen und schien nichts mehr sagen zu wollen. Irene verlor die Geduld, versuchte aber freundlich zu bleiben:
»Was haben Sie denn gesehen oder gehört?«
Die Miene des Mannes wurde etwas milder.
»Es klingelte. Die Gegensprechanlage. Ich hörte nicht richtig, wer es war, glaubte aber, es sei Carl, mein Sohn. Ich drückte also auf den Türöffner. Aber es kam niemand. Er kann es also nicht gewesen sein.«
»Nein. Wahrscheinlich nicht. Wann war das?«
Der Mann runzelte die Stirn und schien einen ehrlichen Versuch zu unternehmen nachzudenken.
»Ich schaute gerade die Nachrichten.«
»In welchem Programm?«
»Im ersten oder zweiten. Ich schaue nie Privatfernsehen. Da gibt es nur Schwachsinn und Dummheiten mit uninteressanten Prominenten, die niemand kennt …«
»Die
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