Der im Dunkeln wacht - Roman
Tourist etwas gesehen haben konnte. Der Pressesprecher der Polizei war zu der Zeit noch im Urlaub gewesen, und Efva Thylqvist übernahm die Aufgabe, die Öffentlichkeit über den Mord zu informieren, nur zu gerne. Irene hatte die Sendung gesehen und gefunden, dass die Kommissarin in ihrer gut sitzenden Uniform und ihrer frischen Sommerbräune eine gute Figur gemacht hatte. Allerdings war keiner der Hinweise, die danach hereingekommen waren, verwertbar gewesen, und der Mord war immer noch ungeklärt.
»Dann gab es da ja noch die Pressekonferenz nach dem Fund der Leichen von Ingela Svensson und Elisabeth Lindberg. Efvas Foto war auch in der Göteborgs Posten abgebildet, und sie gab dem Lokalfernsehen ein Interview«, fuhr Tommy fort.
»Es könnte sein, dass er sie im Fernsehen und in der Zeitung gesehen hat. Wahrscheinlich schneidet er alles über den Fall aus der Zeitung aus und informiert sich im Fernsehen. Das ist meistens so«, meinte Irene und musste ein Gähnen unterdrücken.
Tommy bemerkte dies und streckte den Rücken durch.
»Jetzt fahren wir nach Hause«, sagte er.
Er stand auf und ging Richtung Diele. Bevor er die Wohnungstür öffnete, drehte er sich um und sah Irene an, die gerade ihre Schuhe wieder anzog.
»Morgen wird ein verdammt schlimmer Tag«, meinte er düster.
Am nächsten Morgen waren Irene und Tommy zugegen, als die Blume aus dem Zeitungspapier gewickelt wurde. Rasch sicherte Matti Berggren alle erdenklichen Spuren an dem Papier und an der Wäscheleine. Vorsichtig glättete er die Zeitungsseiten der
Göteborgs Posten . Sie war vom 20. September. Wie erwartet, hatte nur eine einzelne, große Chrysantheme darin gelegen. Am Stiel war mit Klebeband ein normaler Umschlag befestigt. Darauf stand mit dickem Filzstift: »2 Mas. 20,5.«
»Er schreibt das o so komisch, dass es aussieht wie ein a. 2. Buch Mose, zwanzigstes Kapitel, Vers 5. Stand das nicht auch schon auf dem Foto bei Ingela Svensson? Dass Gott die Missetaten bis ins dritte und vierte Glied heimsucht? Ich werde Sara bitten, das noch einmal zu überprüfen«, sagte Irene.
Sie wählte die Nummer von Saras Handy. Diese antwortete prompt. Irene brachte ihre Bitte vor, und Sara versprach, sich sofort darum zu kümmern. Als Irene das Gespräch beendet hatte, sah sie, wie Matti mit Hilfe von zwei Pinzetten das Klebeband entfernte, mit dem der Umschlag an dem Blumenstiel befestigt war. Sehr geschickt. Er hätte auch Augenchirurg werden können, dachte Irene. Selbst konnte sie kaum eine Kaffeetasse in der Hand halten, ohne etwas zu verschütten.
»Klebeband!«, meinte Matti genüsslich.
Seine braunen Augen funkelten vor Freude, als er es in einen sterilen Behälter legte. Er ist so munter und ausgeschlafen, dass man ihn dafür beinahe hassen könnte, dachte Irene säuerlich.
»Ich weiß. Du liebst Klebestreifen, weil daran eine Menge Dreck und eine Menge Partikel hängenbleiben, und daran hat der Mörder nicht gedacht«, sagte sie und unternahm damit einen Versuch, ihre negativen Gedanken zu vertreiben.
Sie nippte an ihrem Kaffee und versuchte wacher zu werden. Gerade einmal vier Stunden Schlaf in der vergangenen Nacht waren einfach zu wenig gewesen. Sie war todmüde.
Tommy schien überhaupt nicht geschlafen zu haben. Er war am Morgen beim Östra Sjukhuset vorbeigefahren, um nach Efva zu sehen. Dort hatte er den düsteren Bescheid erhalten, dass sie im Verlauf der Nacht operiert worden sei. Die Verletzungen am Kehlkopf waren ernst. Sie wurde beatmet.
Mit Hilfe der beiden Pinzetten zog Matti ein Foto aus dem weißen Umschlag. Plötzlich war Irene hellwach. Das hatte sie nicht erwartet. Im nächsten Moment fiel ihr Blick auf Tommy. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er war aschfahl und drohte jeden Moment ohnmächtig zu werden. Instinktiv legte Irene ihm eine Hand auf den Arm. Ungeduldig schüttelte er sie ab. Sein Adamsapfel wanderte einige Male auf und ab, bis ihm schließlich mühselig über die Lippen kam:
»Ich vermute, es dürfte etwas peinlich werden, diesen Burschen zu vernehmen.«
Irene nickte nur. Sie konnte den Blick nicht von dem Foto abwenden, das grellbeleuchtet von einer Laborlampe auf dem Tisch lag.
Efva Thylqvist war im Profil zu sehen. Mit nacktem Oberkörper lag sie halb zurückgelehnt auf dem weißen Ledersofa. Ein Mann saß mit zum Fenster gewandtem Gesicht daneben und streichelte ihre eine Brust. Es war Polizeichef Thomas Englund.
Das Foto war mit Zoom aufgenommen und von bedeutend besserer
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