Der Implex
erst Nanotech und Genmodifikation die Menschen in die Lage versetzt haben werden, direkt aus dem Bodendreck oder dem Licht Nährstoffe zu synthetisieren, wird ein konkreter Kommunismus geboren, der sich um die soziale Organisation des Stoffwechsels zwischen Gesellschaft und Natur keine Gedanken mehr machen muß«, haben Marxisten auch da, wo sie Technik nicht wie wir als die interessengeleitete Zweckbestimmung des Zwecklosen bestimmten, darauf bestanden, daß Technik nicht eine Dingansammlung, sondern selbst ein soziales Verhältnis und also niemals zweckneutral sein kann. Waren sie für etwas, das man in den letzten dreißig Jahren immer häufiger Ökosozialismus nannte, so haben sie sich allerdings häufiger darum gedrückt, daß die Erkenntnis, Technik entbehre solcher Neutralität, nichts an der Wahrheit ändert, daß unter sozialen Umständen, in denen dieses soziale Verhältnis ein ungerechtes ist, die Losung »Weniger Technik« selber eine fetischistische, das Problem zum Nachteil seiner Behebbarkeit verdinglichende ist.
Wenn die Technik niemals neutral ist, niemals keinen immer gerechten oder ungerechten gesellschaftlichen Zwecken dient und ohne Technik aus den Gründen, die wir in diesem Kapitel ausführlich dargelegt haben, keine Gesellschaft gedacht werden kann, dann folgt daraus also zwar nicht »Die Übernahme der Technik durch den Sozialismus löst die mit ihr verbundenen Unrechtsfesseln notwendig auf« (das hat oft genug nicht geklappt), aber auch nicht »Die vorhandene kapitalistische (oder, auf niedrigerer Stufe, halbfeudale, halbkoloniale etc.) Technik ist, da von den falschen kapitalistischen Zwecken geformt, rückstandslos zu zerschlagen« (wer das will, erinnere sich an Pol Pot), sondern: Die Aufgabe, eine gerechte Gesellschaft einzurichten, ist von der Aufgabe, die in diesem Sinne, unter diesem Zweck richtige Technik zu produzieren (eben nicht: zu übernehmen), nicht zu trennen – und umgekehrt.
SECHS
OH L’AMOUR
I.
Hippies im Mietrückstand
Nichts ängstigt schlimmer, nichts stiftet mehr Hoffnung als Liebe.
Ohne sie will man nicht sein. Aber wie soll das gehen: mit Liebe, in Liebe?
Du machst etwas anderes als ich, aber keiner von uns beiden ist der Boss oder la reine : Der Wunsch, die Vorteile der Arbeitsteilung nicht preisgeben zu müssen, wenn man sich von den Hierarchien, die sich an ihr festgesaugt haben, befreit, kann sich in einer Gesellschaft, die ebenso arbeitsteilig wie hierarchisch ist, vielleicht überhaupt nur verständlich machen, wenn er von Liebe spricht. Soll nicht einmal Liebe das sein, was endlich alles ändern würde: das Zusammenleben von Leuten ohne Macht übereinander?
Die letzte große Bewegung, die von Liebe sprach und die Abschaffung von Unterdrückung, Ausbeutung, Gewalt meinte, war eine junger Leute in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts; von der Arbeitsteilung, auch wenn sie sich bei Marx ein paar die Eltern schockierende Vokabeln borgte, wußte sie nicht viel mehr, als was der jüngere Marx von ihr auch wußte, daß sie überhaupt von Übel sei und abgeschafft gehöre wie andere Menschheitsgeißeln, der Krieg zum Beispiel: »Make love, not war«, denn all you need is love – als man Keith Richards, dem Gitarristen der Konkurrenzband Rolling Stones, von diesem Songtitel der Beatles erzählte, soll er einer hübschen, apokryphen, mindestens sehr gut erfundenen, also vielleicht nicht wirklichen, aber allemal wahren Geschichte nach geantwortet haben: »Oh yeah? Try paying the fuckin rent with it.« 88
Die Frage, ob Liebe im emphatischen Sinn überhaupt möglich ist, wo Leute Miete zahlen müssen und Objekte von Kriegen sind, ist keine dumme. Daß Liebe nicht nur als poetisches Bild, sondern als konkrete Praxis und Hexis lebendiger Menschen ein herrschaftsbrechendes, Entfremdung aufhebendes soziales Wunder ist, ohne das man nicht leben möchte, hat als epiphanische Urerleuchtung nicht nur in Kunstwerken, in denen Individuen mit der etablierten Gesellschaft um der Liebe willen Kämpfe ausfechten und mal unterliegen, mal siegen, sondern auch in der öffentlichen Wirklichkeit unverächtliche Widerstandsformen gegen die Zug- und Druckkräfte von Vermassung und Vereinzelung, Verkümmerung öffentlichen Lebens und privater Vereinzelung genährt. Die zweite Hälfte des jüngstvergangenen Jahrhunderts, also die Zeit, in der wir geboren wurden und aufgewachsen sind, kannte von diesen mindestens drei, deren Schicksale freilich von den
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