Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
Vom Netzwerk:
und wie man es herausbekommt, könnten Leute, die deutsch sprechen, ja mit dem Wortspiel belegen, daß schließlich der Weg hin zur menschenwürdigen Gesellschaft sowohl wie der zu verantwortlicher Lust und Liebe über etwas führt, das wir hier »Aufklärung« nennen. Aber obwohl das nur ein Kalauer von bestenfalls Viertels-Heidegger-Niveau wäre, bleibt der Umstand wahr, daß in der Epoche der historischen Aufklärung (und in Ländern, wo sie tatsächlich stattfand, also in Deutschland eher am Rande) sich auch eine Lockerung, und, wichtiger: Vervielfältigung und Modularisierung der öffentlichen Rede über die Leidenschaften ereignete; das Hauptwerk von James Grantham Turner aus dem Jahr 2003, Schooling Sex: Libertine Literature and Erotic Education in Italy, France, and England 1534-1685 erläutert die Beschaffenheit dieser Veränderung, wenn auch von einem oft recht engen, parafoucaultianischen Standpunkt aus, mit aller erforderlichen Ausführlichkeit. Darüber, wie es mit den Realmores stand, ist man allerdings auf Vermutungen und Anekdotisches angewiesen, die sozialgeschichtliche Forschung hat beklagenswerterweise erst im 20. Jahrhundert die Instrumente entwickelt, dergleichen überhaupt zu beobachten – daß der Zusammenhang aber zumindest in der rückblickenden historischen Phantasie eine Rolle spielt, wird man sich leicht merken können, wenn man einmal gehört hat, was die Irren bei Peter Weiss singen: »Was wäre eine Revolution ohne allgemeine Kopulation?« Die Parole ist Komplementärstück zu der dann von Pasolini verfilmten Gegeneinsicht, daß eine ordentliche Konterrevolution und ein funktionsfähiger Faschismus ohne sexuelle Entfremdung, Gewalt, also einfach: Vergewaltigung und heteronome Zurichtung nicht sie selbst ist (wofür nun wieder die Realgeschichte als Beispiel dient, nämlich diejenige des zwanzigsten Jahrhunderts, in dem der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit die schwersten Niederlagen seit der Menschheitsmorgenröte der Renaissance erleben mußte). Daß ab der bürgerlichen Selbstbehauptung und Selbstsetzung als der fortschrittlichen Klasse, vielleicht aber auch (hier herrscht abermals historisches Dunkel) schon vorher, jede erfolgreiche Sozialinsurrektion ihre Liebesimagines produziert (und von seiten der Reaktion mit sexueller Projektion und Paranoia beargwöhnt wurde), ist ebenfalls wahr – und hat einen so wenig mit unseren sonstigen Ansichten einverstandenen, überzeugten Antimarxisten, aber immerhin entschiedenen Gegner der Unfreiheit und des Kapitalismus wie Yves Fremion dazu inspiriert, sämtliche auch nur irgendwie geschichtswirksamen Revolutionsanläufe seit der Antike schlankweg als »Orgasmen der Geschichte« zu bezeichnen.
    Noch einmal also: Etwas ist dran, sonst hielte sich das Motiv nicht.
    Was aber ist dran?
III.
Was dran ist: Macht über Glück in Geschichte und Kulturindustrie
    Man muß denken wie die anderen, dann versteht man, was geschieht.
    Nimmt man einmal die Perspektive der Feindschaft gegen die Freiheit ein, so fällt zunächst auf, daß Leute, die ihr Lieben, ihr Begehren, ihre Lust ernst nehmen, schwerer zu befehligen und zu gängeln sind als enttäuschte und gebrochene. Aus dieser Erkenntnis, die man den Machtträgerinnen schon des Matriarchats (falls es das so, wie der Ausdruck es meint, überhaupt gegeben hat) zutrauen darf, läßt sich allerdings nicht ohne weiteres (etwa per Umkehrung) eine emanzipatorische Liebespolitik gewinnen, weil die taktischen und strategischen Optionen, die aus dieser simplen Erfahrungstatsache für Unterdrückung, Ausbeutung und dergleichen folgen, ihrerseits schon überdeterminiert und mehrgleisig sind – eine schöne Daumenregel wie Wilhelm Reichs »Die Kirche ist die sexualpolitische Organisation der herrschenden Klasse« merkt man sich gern, darf sich davon aber nicht dazu verführen lassen, das Ganze für eine Frage – siehe oben – ausschließlich der Repression zu erachten. Täte man dies nämlich, dann müßte man, wenn sich herausstellte, daß auch andere Formen der Macht über Glück denken und vor allem praktizieren lassen als die des Verknappungshaushalts, komplizierte, geschraubte, je nach Lage bald gar abwegige Konstruktionen basteln, die selbst aus inflationärer Sexualisierung des jeweiligen Herrschaftsbereichs, wie sie bisweilen durchaus vorgekommen ist, wieder einen Repressionsakt machen sollen – Wortmonster wie die »repressive Entsublimierung« und die »repressive Toleranz« beschreiben zwar etwas

Weitere Kostenlose Bücher