Der Implex
neue, wollüstig peinliche Art büßen zu lassen?« 107
Klassenglück oder Prostitution: Die beiden bürgerlichen Vorbedingungen sehr relativer Freiheit; zurückgedacht in die Antike. Hacks hat einmal von der Zeit der bürgerlichen Selbstemanzipation gesagt, nun endlich dürften sich Huren wie Herzoginnen benehmen, und niemand mußte mehr Herzogin sein, um sich ungestraft wie eine Hure benehmen zu dürfen. Lebende Kunstwerke der Gegenwart wie Paris Hilton machen das Beste aus einer Lage, in der Wielands Wahrheiten in die Pornographie des Reichtums gerutscht sind; während Wieland selbst doch kein Wort kannte, mit dem er gröbere Sinnlichkeitsliteratur ernster hätte verdammen können als eben »Pornographie«.
Wieland schrieb einen »Aristipp«, keine »Hipparchia«. Sich mit dem Sexismus und der Klassengesellschaft gleichzeitig anzulegen, dazu hatte er sowenig Laune wie die Feminogironde um Olympe de Gouges, und vielleicht noch weniger, hatte doch die Revolution gezeigt, daß das, was im Kopf passiert, ihn auch dann kosten kann, wenn die toten Geschlechter bereits aus dem Feld geschlagen scheinen und sich auf offener Bühne nur noch verschiedene Richtungen darüber streiten, wie die Freiheit herzustellen, aber nicht darüber, ob sie überhaupt zu wünschen sei.
Viel hat sich seitdem geändert; aber zu wenig.
VII.
Schänderspiele: Objektwahl und Herrschaft
Sage mir, wen du mit Macht begehrst (lieben, schlagen, an dich binden willst), und ich sage dir, wie kaputt du bist.
Das unter Medienbedingungen geformte und gepflegte Gemeinwesen, in dem wir leben, kennt, während wir dies schreiben, also in der ungefähren Mitte des Jahres 2010, mal wieder einen Extremfall der erwachsenen männlichen Objektwahl, an dem es sein sexuelles Elend erfährt und diskutiert: das Kind. Priester schlagen, verführen und manipulieren Kinder, müssen darüber von ihrem Amt zurücktreten oder nicht, mehr oder weniger kasernierte Erziehungseinrichtungen, sowohl konfessionell strikte wie reformpädagogisch offene, werden als Tempel des sexuellen Mißbrauchs Abhängiger entlarvt, Fälle wie der des Schändervaters Fritzl oder der Entführung des Mädchens Natascha Kampusch beherrschen die Kriminal- und Horrorsexphantasieproduktion der Nachrichtenindustrie, Künstler wie Otto Mühl oder Roman Polanski werden der Vorliebe für Minderjährige überführt, die juristische Diskussion über die Informationsökologie in den elektronischen Netzen handelt in der Mehrzahl der Fälle statt vom Datenschutz eher von der Kinderpornographie – von Internat bis Internet, die Alten wollen etwas von den Jungen, und die Staatsmacht meldet an, sie werde demnächst eingreifen. Zur Entspannung schauen wir uns dann auf YouTube an, wie ein Vierjähriger im Garten herumläuft und dabei raucht wie früher nur die härtesten Filmhelden, oder wie ein Knirps die eigene Mutter minutenlang wild zappelnd als »Votze« beschimpft.
Für alle Parteien in den zermürbenden, sinnzerstäubenden, mikrologischen und makrohysterischen Kulturstellungskriegen, die man sich heutzutage gerne liefert, ist bei dem Thema was zu holen: Die Liberalen weisen maliziös darauf hin, daß vom amerikanischen Parlamentarier mit konservativer Gesinnung bis zum gegen den Schwangerschaftsabbruch wetternden Pfaffen gerade die Befürworter sexueller Repression zum Übergriff auf Schwächere, nicht zum sexuellen Einverständnis Fähige neigen; die Konservativen ihrerseits prangern mal wieder die seit 1968 um sich greifende Zügellosigkeit, den Werteverfall und andere bedrohlich laxe Unbestimmbarkeiten an, die der linken Kulturhegemonie, von der sie reden und die sie für gegeben halten, aufs Schuldkonto überschrieben werden sollen; und die über der Pflege grün-alternativer Lebensstil- und Meinungsschrullen mit Haut und Haar verbürgerlichte, ehemals ganz ungebärdige und aufmüpfige »Tageszeitung« tut, was sie immer tut, wenn irgendwo etwas zutiefst Unanständiges und Abscheuliches (Terrorismus, Krieg, Krise, Seuche) passiert: Sie streut sich Asche aufs Haupt und bekennt sich zur Mitverantwortung am Chaos, das sie um sich sieht (also mußte Ende April 2010 ein Artikel her, der sich darin gefiel, auszubreiten, daß Linke in der turbulenten Phase des Ringens um jene von rechts so gern beschworene Vorherrschaft des Linksgewandeten im Meinungslärm nicht wenige ermunternde Worte übriggehabt haben für Erwachsene, die Sex mit Kindern fordern, fördern oder verstehen wollen). Bei alledem geht es
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