Der Implex
irgendeinen Spaß.
Wer Güter besitzt, die sich nicht nur zum Verbrauch, sondern auch zur Herstellung von Reichtum eignen – Grund und Boden, wo etwas wächst oder gebaut werden kann; Maschinen; Einrichtungen der Erzeugung –, ist freier als andere, die nur ihre Arbeitskraft haben.
Deren Freiheit besteht nur darin, daß sie diese Arbeitskraft verkaufen können, wo sie das für sie erträglichste Angebot bekommen. Sie gehören keinen einzelnen Herren mehr, aber einer Gesamtklasse von Herrschenden, den Besitzenden eben. Die Verträge, die sie mit denen eingehen, schützt der Staat.
Das ist die sozialistische Analyse, und darin steckt alles an sozialistischer Kritik und sozialistischem Gegenentwurf, was die Logik eben daraus hervorzuholen vermag.
Verfasserinnen feministischer Analysen und kritischer Leistungen, die sich beim Sozialismus über diese Zusammenhänge kundig gemacht haben – von Alexandra Kollontai bis Shulamith Firestone –, sind stets gewillt und fähig gewesen, die Parallele der Lohnarbeitskritik zur Kritik der Geschlechterunterdrückung aufzuzeigen: Wie die Arbeitenden den Kapitalbesitzenden insgesamt gehören, so gehört die Frau und das Kind vielleicht keinem einzelnen Patriarchen mehr, aber doch der männlichen Erbrechtsordnung, der biologisch definierten, aber sozial (etwa juristisch) konstituierten Männergesamtheit – nun ja, »gehören«: Die Prostitution, immerhin, ist ein Leihverhältnis, keines des Kaufes, und insofern vielleicht dem Leasing- und Outsorcing-Zeitalter insgesamt angemessener als die gute alte muffige bürgerliche Ehe. Was immer an Liberalisierung den Geschlechter- und Sexualzuständen im Kapitalismus erfolgreich abgerungen werden kann, wird vom scheinbar (nämlich individuell-partikular) freien, in Wahrheit (nämlich statistisch-universal) zwanghaften Kaufen und Verkaufen gekennzeichnet sein – bis hin zur Frage, von der dieser Text seinen Ausgang nahm, der sexuellen Ökonomie der Kinder (als man in Dänemark, einem der sozial gerechtesten und fortschrittlichsten Länder der Zeit, Ende der sechziger Jahre über therapeutische und andere Entschärfungsmaßnahmen pädophiler Sexualität nachdachte, war das Ergebnis eine Legalisierung auch der entsprechenden Pornographie, die zwischen 1969 und 1979 ein großes Geschäft wurde, dessen Waren auf dem einschlägigen Markt noch heute, allerdings digitalisiert, Profite abwerfen). Das Lohnarbeitsverhältnis als Form der Vergesellschaftung, als der Kitt, der das Gemeinwesen insgesamt zusammenhält, ist längst unplausibel geworden – »strukturelle Arbeitslosigkeit«, »jobless growth« und andere Schlagworte deuten nur an, was in Stadt und Land alle wissen und erleben. Aus dem System, das die Sklaven und Leibeigenen befreit hat, ist unmittelbare Knechtschaft geworden: Die keinen Job haben, wissen, daß sie bloß geduldet sind und ihnen jederzeit die Gunst der Gesellschaft, von deren Almosen sie leben, entzogen werden könnte, je nach Krisenlage.
Und da wundert sich wer, daß die Liebe und die Lust danach aussehen, daß die Starken die Schwachen, die Erwachsenen die Kinder vergewaltigen? Nein. Niemand wundert sich. Aber alle sind, mal moralisch mißbilligend, mal heimlich in Kauf und Verkauf verwickelt, von diesem finsteren Stand der Dinge, ja, wie soll man sagen? Erregt?
VIII.
Menschen- und Engelszungen
Wieder am Ausgangspunkt also, offenbar ohne Fortschritt; der Weg im Problem, das wir zu durchmessen versucht haben, scheint diesmal wirklich zyklisch gewesen zu sein, vielleicht eine anthropologische, sicher eine sozialgeschichtliche Invariante: Nichts ängstigt schlimmer, nichts stiftet mehr Hoffnung als Liebe, auch wenn die Codes, durch die sie in der Neuzeit vermittelt sind, nicht aus Ungeschichtlichem schöpfen, sondern mehr mit der Neuzeit selbst und ihren Verfassungen, ihrer Hexis und Praxis, ihrer beschleunigten Selbstvergeschichtlichung, ihrer Bedeutungsherstellung und Irrtumsverwerfung zu tun haben als die meisten anderen Arten, irgend etwas zu erfahren oder zu wissen.
Ohne sie will man nicht sein; aber wie soll das gehen: mit Liebe, in Liebe?
Universalistisch gesonnene Menschen – die nüchternen wie etwa auch die von irgend etwas Überweltlichem Beseelten – neigen dazu, der Menschheit zwar das Recht auf Liebe zuzusprechen, sich aber lieber nicht darüber zu verbreiten, wie genau diese Liebe zu leben sei. Der Apostel Paulus, den der maoistisch-marxistische Philosoph Alain Badiou geradezu als Erfinder des
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