Der Implex
trägt und der irgendeine Wahrheit zukommt, buchstäblich nicht gebrauchen, weil sich kein Fall aus der Geschichte denken läßt, der sie widerlegen könnte, aber 2. schadet das gar nichts, denn wenn wir statt »Die Sache ist von Diskursen geschaffen« lieber sagen: »Sie ist diskursiv vermittelt, ohne diese Vermittlung nicht denkbar, und deshalb können wir an keiner anderen Stelle ansetzen«, dann dürfen beide Parteien von den Diskursen, die nun mal alles sind, was uns speziell aus historischen Zeiten erreichbar ist, auf die Verhaltensweisen schließen, die uns interessieren, ob nun als Produkte der Diskurse oder als etwas von diesen »nur« koordiniertes und beobachtbar Gemachtes – das sind so lange Geschmacksfragen, bis jemand behauptet, daß es die Verhaltensweisen, die wir interessant finden, überhaupt nicht gibt – und ebendas tun die Foucaultianer ja nicht, weil das allgemeine und wohl auch ihr eigenes Interesse an ihren Ansichten über die Diskurse, von denen sie reden, stark nachlassen würde, wenn das, was sie »machen«, einfach nichts wäre. Plausibel ist die Lehre, der wir uns einstweilen in einer Art Einklammerung der Entscheidung oder agnostischen Haltung nicht anschließen wollen (die tentative Ersatzformel »vermittelt durch« läßt da den gewünschten Spielraum), wie gesagt deshalb, weil uns außer dem, was ihr die Quelle der sozialen Erscheinungen ist, nichts von diesen bleibt; attraktiv aber ist sie, weil die Suggestion herausgeholt werden kann: Wenn es die Diskurse waren, die das Leben geschaffen haben, das wir führen, dann reicht es, die Diskurse zu ändern, und das Leben wird nachziehen. Wie gesagt: Foucault war nicht Professor an der Hogwarts-Zauberschule, er hat dergleichen nicht behauptet; wer es bei ihm sucht, wird es nicht finden und vielmehr enttäuscht werden; sein Bild von der »Macht« ist ein viel weniger wortmagisches, viel eher an Dühring erinnerndes. Ein Großteil seines Erfolges aber erklärt das Mißverständnis allerdings schon. Er sei ihm gegönnt; sein Witz wird diese Auslegung vermutlich überleben.
VI.
Der Philosoph und das Handtuch
Die Deutschen, man wußte das schon, bevor Marx es ihnen aufgeschrieben hat, kamen immer zu spät, und so fing die Aufklärung hier eigentlich erst nach der Französischen Revolution an, blieb stummelhaft und konnte nicht recht sagen, was sie wollte – aber im Sinnlichen war sie weniger unbeholfen als im Politischen; jedenfalls bei Christoph Martin Wieland. Sein Briefroman Aristipp und einige seiner Zeitgenossen handelt von dem kyrenischen Philosophen, nach dem er heißt und der seine Emanzipation und sein Erwachsenwerden an genau den beiden Erfahrungen mißt, die wir in diesem Kapitel behandeln, der erotischen und der reflexiven. Die Weichen werden gestellt, indem er einerseits Sokrates begegnet und andererseits der schönsten Frau; er lernt lieben, diskutieren und denken im selben Lebensabschnitt. Die besondere Schnittstelle zwischen Natur und Zivilisation, an der die Reflexion seine Körperlichkeit erreicht (und Poesie wird), ist das »öffentliche Bad«. Die Stelle, an der er seinem Freund Kleonidas brieflich von diesem Erlebnis berichtet, ist so hübsch, daß wir sie ungekürzt wiedergeben möchten:
»Ich gehe hinein, und da sich nicht gleich ein Aufwärter zeigt, öffne ich aufs Gerathewohl eine der Badekammern und treffe gerade den Augenblick, da eine junge Frauensperson, die sich ganz allein darin befand, im Begriff war aus dem Bade zu steigen. Dieß war das erste mal in meinem Leben, daß ich vor einem schönen Anblick zusammenfuhr; gleichwohl weiß ich nicht wie es kam, daß ich, anstatt zurück zu treten, und die Thür, die ich noch in der Hand hatte, vor mir wieder zuzuziehen, sie hinter mir zumachte und meine Verlegenheit dadurch vermehrte. Die Dame, die bey meiner Erblickung plötzlich wieder untertauchte, schien sich an meiner Bestürzung zu ergetzen. ›Wie?‹ (sagte sie lachend, mit einer Stimme, deren Silberton meine Bezauberung vollendete) ›fürchtest du das Schicksal Aktäons, daß du vor Schrecken sogar zu fliehen vergissest? Da ich weder so schön wie Artemis noch eine Göttin bin, darf ich auch weder so stolz noch so unbarmherzig seyn wie sie. Du bist ein Fremder, wie ich sehe, und hast vermutlich die Überschrift über der Pforte dieser Thermen nicht gelesen.‹
Während sie dieß sprach, hatte ich, was du mein unverschämtes Gesicht zu nennen pflegst, wieder gefunden, und erwiderte ihr, von einer so
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