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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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University lesen, daß in den letzten Jahren in den USA wahre Heere aufgestellt wurden, um dem Elend, das aus den gegenstrebigen Vektoren »Vermassung« und »Vereinzelung« resultiert, breitenwirksam zu wehren – gab es in den späten Vierzigern des zwanzigsten Jahrhunderts bundesweit erst 2.500 klinische Psychologen, 30.000 Sozialarbeiter und weniger als 500 Ehe- und Familientherapeuten, so sind es heute 77.000 klinische Psychologen, 192.000 klinische Sozialarbeiter, 105.000 Berater in Fragen seelischer Gesundheit, 50.000 Ehe- und Familienberatungsprofis, 17.000 zu psychotherapeutischer Pflegebegleitung Qualifizierte, 30.000 – was immer das sein mag – life coaches , 400.000 nicht mit dem seelischen Befinden, sondern allen anderen Nöten befaßte Sozialarbeiter und für Menschen, die aus ihrem Unglück auf dem Wege der Selbstmedikation auszusteigen bemüht waren, aber daran (aus wahrscheinlich auch wieder eminent persönlichen, inkommensurablen, nicht über einen Kamm zu scherenden Gründen) gescheitert sind, zusätzlich 220.000 Helfer bei Drogenproblemen.
     
    2.) Theoretische : Wenn privatwirtschaftlich erzeugte, öffentlich über Werbung, parastaatliche Propaganda (zu der auch das Befindlichkeitssummen der »Caring Industry« gehört, solange die Berufe und Ränge der großen Betreuungsarmeen in den reichen Ländern noch unter staatliche Lizenz- und Kontrollbestimmungen fallen) und Kulturindustrie (welcher die »Caring Industry« zugeschlagen werden sollte, wo sie nicht staatlich instituiert ist) vermittelte Bedürfnisse die wirklichen Beziehungen der damit in jeder außer der unmittelbar gröbsten materiellen Hinsicht (Kalorien sozusagen) verarmten Individuen bestimmen, dann kann der gesellschaftliche Gesamtprozeß, der ihnen unter solchen Vorzeichen in jedem Moment ihrer Bedürfnis-, Leidens- und Glücksgeschichte notwendig fremd gegenübersteht, diese Individuen jederzeit auseinandernehmen und neu zusammensetzen; das Casting, die Selektion, Diremption, die konjunkturelle Kolonisierung (»Repression«) und Dekolonisierung (»Toleranz«), das Ansaugen und Abstoßen, Ausbeuten und Ausschließen der Körper und Köpfe hört niemals auf – und damit das, was da geschieht, wenigstens auf irgendeine Art begrifflich gefaßt, also in der Selbstbeschreibung des Ganzen wenigstens an der Uni und in den Intelligenzmedien, im scheinbar weltabgewandten, aber als Testfeld neuer Maßverhältnisse des Sozialingenieurswesens nicht ganz wertlosen Ideologielabor, irgendwie wiedererkennbar verzeichnet sei, werden mit jedem neuen Schub der Verfügbarmachung des Menschenmaterials für neue Erscheinungsweisen des Teilens, Herrschens, Verwirrens und Bündelns steilere Theorien über den absoluten Geist und seine Selbstentäußerungsformen, die Welt als Wille und Vorstellung, den Willen zur Macht, das Unbewußte und die Organisation des psychischen Apparats, System und Umwelt, dezentrierte Subjekte, das Verschwinden des Menschen und was nicht noch alles in die Welt gesetzt, damit ein Wort da sei für das, worüber gleichzeitig eigentlich nie geredet wird. Das Verhältnis der nichttheoretisierenden Bevölkerung zu diesen Beschreibungsangeboten ist so, wie man den Leuten beigebracht hat, sich zu sich selbst zu verhalten: situativ, okkasionell, opportun, pragmatisch – ob man sich die Vokabeln, an denen man sich selbst durchkonjugiert und durchdekliniert, dann bei Ayn Rand oder Judith Butler, Hayek oder Žižek, in der Komplexitätsforschung, in der Systemtheorie, beim Lacanismus, der Wertkritik, der Frankfurter Schule, liberal-prowestlichen Spielarten der queer theory oder ihrer Kritik durch Leute wie Jasbir K. Puar abholt, wird zur Geschmacksfrage; entscheidbar allenfalls über ästhetische Abwägungen (nebenbei: nicht zum erstenmal zeigt sich die Affinität dieser begrifflichen Inneneinrichtung des Lebens zum Künstlerischen in der Moderne; Künstlersein ist ja, sobald Ford, Taylor, Disziplinargesellschaft und Reformismus beerdigt sind und die Info-Gesellschaft, das Kognitariat, die digitale Boheme etc. angefangen haben, das gemeinsame Arbeitsideal aller »neuen Arbeit«).
    Es handelt sich freilich um eine Sorte Geschmacksfragen, für die man gleich wieder Metatheorien bemühen kann, die ihr eigenes Verwundertsein darüber, daß sie überhaupt noch Theorien sind und nicht einfach bastlerische Existenzialien, assemblages, in ihren eigenen Namen tragen – »Politik der Lebensstile«, »nicht-narrative Ethik« –, die allesamt

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