Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
Vom Netzwerk:
Synonyme für jene »Pragmatist Aesthetics« sind, denen im Millennialjahr 2000 das Manifest ( living beauty, rethinking art ) Richard Shusterman geschrieben hat, dessen elegante Zusammenführungen der Denkströme aus heterogensten Quellen – vom illiberalen Foucault zum liberalen Richard Rorty, vom ureuropäischen Bourdieu bis zum erzamerikanischen Dewey – selbst das schwindelerregendste Beispiel für die manövriersichere Buffet-Praxis sind, die er seinem Publikum als neue Denkform eines geistigen Reichtums anempfiehlt, der alle bei Marx mit den Bestimmungen solchen Reichtums noch mitgemeinten Ansprüche auf ein Sichnichteinrichten im Gegebenen und dessen Überwindung hinter sich gelassen hat. Daß man für die Selbsterschaffung als originelles Individuum (das dann nicht nur glücklich, sondern vor allem auch erfolgreich ist, im Bett und am Rechner) andere Anregungen braucht denn als abhängiges Geschöpf im Gemeinwesen, wird von Leuten wie Shusterman, und in gesteigertem Ausmaß dem prime mover des Neopragmatismus Rorty, nicht mehr als Hinweis darauf gelesen, daß durch Leute, die sich fürs Soziale woanders schlau und fit machen als fürs Individuelle, offenbar ein Riß geht, den man durchaus »Entfremdung« nennen darf, sondern als unhintergehbare Realität, die sich, so Rorty, aus der mehrfachen Kontingenz des Lebens der modernen Subjekte und ihrer gesellschaftlichen Verkehrsformen ergeben soll – aus der Kontingenz der Sprache (die Zeichen sind arbiträr und konventionell, also vergeßt Bedeutung als sicheren Grund und Boden für Verständigung), der Kontingenz des Selbst (ich bin meine Lerngeschichte, und die hätte ja schließlich auch ganz anders verlaufen können, also kommt’s auf mich nicht weiter an) und aus der Kontingenz des Gemeinwesens (fürs Universalhistorische gilt, was für die individuelle Lerngeschichte gilt: Eben, daß sie nie universal sein können, weil sie Auswahlergebnisse aus unendlichen Möglichkeiten darstellen).
     
    Die ausführliche Fassung des Arguments ist entwickelt in Kontingenz, Ironie und Solidarität von 1989, Rortys quasi-ethischem Hauptwerk – nur »quasi«, weil es die klassische Wortbedeutung von Begriffen wie »Ethik« für ein Ding der Unmöglichkeit erklärt; die Sache ist nach dem Muster seines anderen großen Erfolges, Der Spiegel der Natur gebaut, das im selben Sinn ein quasi-epistemologisches Buch ist. Im Kontingenzbuch (und zahlreichen Aufsätzen, Redebeiträgen, Kanzelworten) erklärt Rorty, die Konsequenz aus der dreifachen Kontingenz müsse sein, daß wir keine Theorien mehr anstreben sollten, welche das Öffentliche und das Private »vereinen« (er meint: aneinander messen), weil diese beiden notwendig inkommensurabel (wörtlich: nicht aneinander meßbar) seien. Sein Ideal ist die »liberale Ironikerin«, die – das ist die von ihr dem eigenen öffentlichen Exo-Selbst introjizierte »Ironie« – verstanden hat, daß es keine letztgültigen Vokabulare gibt, aber trotzdem nicht leiden mag, wenn andere leiden oder nicht nach ihrem eigenen Gutdünken dem Verfolg des Glücks nachgehen dürfen – daher »liberal«. Solidarität, so Rorty, sei ein wichtigerer Wert als Objektivität, letztere nämlich nicht zu haben – der alten logischen Schlinge, damit selbst eine Aussage gemacht zu haben, deren Geltungsanspruch nur als einer auf eine objektiv richtige Feststellung sein kann, entwindet sich der Philosoph (der folgerichtig der Philosophie insgesamt nicht mehr zutraut, als eben eine Art des Schreibens und Lesens zu sein und anderweitig eigentlich überhaupt nicht recht zu existieren), indem er auch diesen seinen Rat, wie man zu sein habe – »Liberale Ironikerin« – als kontingentes Ergebnis seiner eigenen, kontingent zustande gekommenen Sprechposition eingesteht – konkret ist das nicht selten sehr charmant, ja putzig, etwa wenn er sein Kapitel über die Kontingenz des Selbst mit den Worten einleitet: »Als ich mit diesem Kapitel anfing, las ich zufällig ein Gedicht von Philip Larkin, das mir half, auf den Punkt zu bringen, was ich sagen wollte« 109 – das Gedicht und was es sagt, einmal beiseite gelassen, verrät dieser bescheidene und zierliche Satz den zentralen Denkfehler aller postmodernen Historistik und Kontingenzanbeterei, denn daß ein amerikanischer Humanities- Professor ein Gedicht liest, das seinen analytischen, ethischen und ästhetischen Vorlieben schmeichelt, kommt zwar manchmal vor und manchmal nicht, ist aber natürlich (!) kein

Weitere Kostenlose Bücher