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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Widerspruch, also der Pressefreiheit, verdanken die Naturwissenschaften ihre Vervollkommnung. Nehmt ihr diese Freiheit, wie viele von der Zeit geheiligte Irrtümer werden dann als unumstößliche Axiome angeführt. Was ich von der Naturlehre sage, ist auch auf die Moral und die Politik anwendbar. Will man sich in diesem Bereich der Wahrheit seiner Ansichten vergewissern, muß man sie öffentlich bekanntmachen. Am Prüfstein des Widerspruchs muß man sie erproben. Die Presse muß also frei sein: Der Beamte, der sie einschränkt, widersetzt sich also der Vervollkommnung der Moral und der Politik: Er vergeht sich an seiner Nation, da er bereits im Keim die glücklichen Ideen erstickt, die diese Freiheit hervorgebracht hätte. Wer kann nun diesen Verlust ermessen? Was man hierzu sagen kann, ist, daß ein freies Volk, ein Volk, das denkt, immer das Volk beherrscht, das nicht denkt.« 114
     
    Das rote Tuch des verrufensten Szientismus flattert da, wo so ein Zitat angeführt wird, besonders lebhaft: Sieht man hier nicht wieder einmal in aller abstoßenden Klarheit, wie die Aufklärung sich in protopositivistischer Verkennung der Eigengesetzlichkeit und Spezifik des Sozialen Mitschuld an den reaktionärsten ideologischen Naturalisierungen und Biologisierungen aufgeladen hat, vom hochkolonialen Rassismus über den Sozialdarwinismus bis zum Faschismus, und erscheint unsere im vierten Kapitel an Kant und Hume diskutierte Zurückweisung dieser Schuldrechnung, so plausibel sie in jenen Einzelfällen vielleicht sein mag, damit nicht in einem tieferen Sinne unzulänglich?
    Radikaler als bei Paul Feyerabend ist diese Frage nicht gestellt worden; er macht noch in seinen allerletzten Aussagen seine Überzeugung geltend, ein rein auf die Baconschen Kriterien gegründetes Erkennenwollen der Welt möge für Wissenschaftlerinnen selbst fruchtbar sein, töte aber »die Vielfalt« möglicher Weltzugänge und sei somit für Leute, die keine Wissenschaft trieben – er nennt ausdrücklich »Philosophen, leichtsinnige Mystiker, Propheten eines New Age und die unterrichtete Öffentlichkeit« 115 –, »ein Desaster«. Es ist nicht ganz klar, ob Feyerabend damit sagen will, diese Leute würden, weil sie der Versuchung erlägen, der wissenschaftlichen Welterschließungsweise besondere Durchschlagskraft zuzuschreiben, ihre eigenen, nicht wissenschaftlichen Positionen, mit denen er sympathisiert, unangemessen bescheiden vortragen, oder ob er diese Positionen selbst schon für zu stark wissenschaftsverseucht hält, um ihnen (wie etwa den Welterklärungsmodellen von »Naturvölkern« und ausgearbeiteten nichteuropäischen Naturphilosophien anderswo in seinem Werk) noch die Kraft zuzutrauen, Alternativen aufzuzeigen.
     
    Bei denen, die den schwierigen Spagat versuchen, Adorno und Horkheimer treu zu bleiben, sich aber von allem, was marxistisch kontaminiert sein könnte, möglichst effektiv zu emanzipieren, nimmt diese Polemik gegen Szientismus, Reduktionismus, Positivismus, die darin einbegriffene späte Abrechnung mit Condorcet und mit dem epistemologisch-idealistischen Fortschrittsbegriff einer allmählichen kumulativen Tatsachenerschließung und in deren Gefolge Lebensverbesserung durch »die Menschheit« allgemein oftmals die immerhin leidlich konturenscharfe Gestalt an, all jene für gefährliche, mit ideologischem Naturalismus und Biologismus eng verfilzte Irrlehren angesehenen Aufklärungsanschauungen seien System und Methode gewordene antiphilosophische Affekte wildgewordener Bourgeois, also, mit Habermas, ein fataler »Glauben der Wissenschaft an sich selbst, nämlich die Überzeugung, daß wir Wissenschaft nicht länger als eine Form möglicher Erkenntnis verstehen können, sondern Erkenntnis mit Wissenschaft identifizieren müssen« 116 – eine Karikatur, die weder Marx noch Comte noch auch nur Condorcet trifft, denen es vielmehr sowenig eingefallen wäre, Erkenntis und Wissenschaft in toto miteinander einfach zu identifizieren, wie etwa die erotische Literatur der Hochaufklärung, also des siebzehnten bis achtzehnten Jahrhunderts, Liebe und Sexualität in eins gesetzt hätte. Die hinter den gescholtenen Pappkameraden der Kritik an der »Wissenschaftsgläubigkeit« stehenden wirklichen Autorinnen und Autoren wußten ganz gut, daß es noch andere Erkenntnisweisen gibt als die von Bacon systematisierten; aber eine Welterschließung, die sich nicht zu der Einsichtshöhe bequemen will, daß die (wie bei Bacon oder, aus dessen

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