Der Implex
glasklarer Definitionen von Begriffen wie »Meinungsfreiheit« oder »Toleranz« zusammengeschnurrt ist. »Meinungsfreiheit« etwa konnte nur Pressefreiheit heißen, und diese eben nicht Freiheit von allen Folgen des Gedruckten, sondern nur von Vorzensur, hergeleitet nicht aus irgendwelchen abstrakten quasinaturwissenschaftlichen Deduktionen, sondern der konkreten Sozialgeschichte des Bürgertums, vor allem unterm Absolutismus – Thomas Paine, Oktober 1806:
»Prior to what is called in England the revolution , which was in 1688, no work could be published in that country without first obtaining permission of an officer appointed by the government for inspecting works intended for publication. The same was the case in France, except that in France there were forty who were called censors, and in England there was but one, called Impremateur. At the revolution the office of the Impremateur was abolished and as works could then be published without first obtaining the permission of the government officer, the press was, in consequence of that abolition, said to be free, and it was from this circumstance that the term liberty of the press arose« 117 ,
woraus Paine eine mächtige Sperre gegen Beliebigkeit folgert: »A man does not ask liberty before hand to say something he has a mind to say, but he becomes answerable afterwards for the atrocities he may utter. In like manner, if a man makes the press utter atrocious things, he becomes as answerable for them as if he had uttered them by word of mouth« 118 , das Prinzip der Selbstkorrektur des öffentlichen Gesamtgesprächs war ihm garantiert durch Gesetzeskraft des von Thomas Jefferson artikulierten Prinzips »Error of opinion might be tolerated when reason was left free to combat it«, aber ein Unterschied zwischen error und reason wird damit nicht nur gemacht, sondern für geradezu allentscheidend erklärt, über dessen je zu ziehende Figur aber eben kein Amt befinden sollte, während es für andere Unterscheidungen, etwa die der Kriminaljustiz, allerdings zuständige Ämter gibt und geben soll: »Liberty of the press«, bekräftigt Paine, »refers to the fact of Printing free from prior restraint, and not at all to the matter Printed whether good or bad. The public at large, or in case of prosecution, a jury of the country will be the judges of the matter.« 119
Die von Paine vertretene, am historisch gewissermaßen eben erst Gestalt annehmenden Wissenschaftssystem gebildete, am Justizsystem geschärfte Vorstellung von Meinungsfreiheit kann man »inferentiellen Aussagenliberalismus« nennen: Behauptungen sollen frei sein, die als Schlüsse oder Voraussetzungen in die Folgerungsketten des Gesamtdenkens der mit sich selbst in rationalen Überlegungen verwickelten Gesellschaft eingehen können, damit bei diesem Gesamtdenken nichts Verkehrtes herauskommt. Aussagen, für die das nicht gilt, weil sie beispielsweise gar keinen Argumentcharakter haben können, sind also von der Pressefreiheit nicht gedeckt (aber vielleicht von der Kunstfreiheit, die dann jedoch einer eigenen Begründung bedarf und sie auch erhielt; wir werden darauf noch zurückkommen).
Ein weiteres, ähnlich wie die Klagen über den Szientismus leider auch von links gern und häufig wiederholtes Fehlurteil über die Aufklärung hält dieser Rekonstruktion nicht stand: Nicht einmal beim Konstrukt eines individuellen Rechts auf eine eigene Meinung blieb die bürgerliche Emanzipationstheorie in engem Subjekt- und Individualdenken befangen, wie ihr das befremdlicherweise noch Lukács in seinem Aufsatz über Rosa Luxemburg als marxistische Theoretikerin unterstellt. Die ganze Gegenüberstellung Individualismus/Kollektivismus, von Rechtsliberalen so innig geliebt wie von Linkslerinnen aller Schattierungen, ist ein Zerrbild ganz anders gearteter Konfliktlinien, dem die Arbeiterbewegung leider keine Resistenz mehr entgegensetzen konnte, als sie nicht mehr in der Lage war, ihre (in der Biographie von nicht zuletzt Marx doch so glasklar aufgehobene) Kontinuität zu einem Liberalismus zu erkennen, der auch in seinen ökonomischen Theorien das Einzelinteresse mit durchaus hohem Anspruch zu vermitteln gewußt hatte. Die Neuigkeit, die Marx dem zuschoß, war nicht viel mehr als die Mitteilung, daß diese Vermittlung in naturwüchsigen Gesellschaften unzulänglich passiert; was man bei ihm »Klassenstandpunkt« nennen könnte, heißt gerade nicht, man solle etwa sehen und glauben, daß die Perspektive der Klasse
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