Der Implex
Greenberg geliebten Moderne, hat diese Erfahrung den Übergang jener alten Moderne aus ihrer progressistischen Kindheit in ihre skeptische, fusselige, komplizierte Pubertät begleitet.
Die Magie der neuen unwirklichen Kunst, von David Lynch bis Buffy, the Vampire Slayer , ist Kunst, befreit von der Wahrheit, jede Kunst sei immer bloß Lüge, und von der Prätention (ohne die Adorno, Wilson, Greenberg nicht hätten arbeiten können), nur ein Kommentar dazu könne deren Wahrheit finden. Sie nimmt den Kommentar in sich hinein, die Lektüremodelle, die Archive, die Seitenwerke, Randglossen, Palimpseste. Vielleicht hätte dem negativen Dialektiker diese Drehung sogar gefallen. Sie zeigt an, was die Stunde geschlagen hat: Mitternacht, das Land von Clive Barkers ewig verfinsterter Insel »Gorgossium«.
Daß Magie nicht mehr bloß Wunscherfüllung meint, liegt aber nicht nur an den neuen geschichtlichen Bedingungen. Der Umstand speist sich noch aus einer älteren Tatsächlichkeit, die in der neomythischen Verfahrungsweise einer nicht mehr naiven modernen Kunst allerdings mit Erfolg reaktiviert werden kann: dem Wissen darüber, daß Tropen und Figuren in der Kunst sowieso nie dasselbe sind wie in der Psychoökonomie von Individuen, genau wie Religion nicht bloß an Götter delegierte infantile Magie ist (wer, wie gewisse Freudianer, nur diesen Aspekt an ihr sieht, wird sie nie verstehen).
Das bedeutet, daß nicht nur (künstlerische) Magie keine (persönliche) Wunscherfüllung, sondern auch (soziale) Phantasie kein (privater) Traum ist.
Nicht nur kluge Menschen wie der Buffy -Schöpfer Joss Whedon oder Stephen King, sondern selbst aus Unvermögen oder Faulheit naive, das heißt schlechte, auf ihre Mittel nicht reflektierende Künstlerinnen und Künstler des populären Unwirklichen beherzigen die Regeln, welche die genannten Ungleichungen erzeugen, bei ihrer schöpferischen Arbeit, mal genau und reflektiert, dann »wie im Traum«.
In einem viel zu bekannten Buch des lange Zeit viel zu beliebten Michael Ende ist die Phantasie ein Land, »Phantásien« – und als der kleine Junge Atréju die »Windriesen« der vier Himmelsrichtungen fragt, wo denn die Grenzen dieses Landes zu finden seien, erfährt er, es sei »grenzenlos«.
Das Buch, in dem die Auskunft steht, heißt Die unendliche Geschichte , der Titel ist aber weit weniger ernst zu nehmen als die Mitteilung der Windriesen. Denn nach 428 ganz normal linear hintereinander herlaufenden Seiten geht dem unendlichen Erzähler dann doch die Puste aus, und er läßt die Unendlichkeit lieber wieder auf sich beruhen. Hätte Ende den Heimcomputer, die CD-ROM und vor allem die dadurch ermöglichten Pfade beliebig kombinierbarer Hypertext-Architekturen noch bei klarem Bewußtsein erlebt, wäre er der Realisierung des scheußlichen Traums eines Buches, aus dem man nicht mehr herausfindet, einen Schritt näher gekommen – daß er aber die Dialektik der Grundvoraussetzung seiner Epik spürt und also zwar einerseits grenzenlos (= magisch), andererseits aber doch geographisch bestimmbar (= nicht einfach eine Wunschwelt des Primärprozesses, kein unmarked space , sondern topisch bestimmbar, festgelegt) findet, zeigt, daß man das sogar ohne Denken merken kann. Trotzdem geht es besser mit Verstand statt ohne. Klares Bewußtsein ist nämlich der Name derjenigen immanenten Grenze, die man im Abendland seit der Aufklärung dem Land Phantásien gesteckt hat.
Zwar liegt der Grenzstreifen, ganz wie die Windriesen sagen, weder im Westen noch im Osten noch im Norden und auch nicht im Süden, dafür aber wird er von jenen flammenschwertbewehrten Cherubim bewacht, so da heißen: Vernunft, Argument, Deduktion, Skepsis, Plan, Grund, Sinn, Zweck und Wittgenstein.
Interessanterweise gibt es zahlreiche selbstreflexive Äußerungen populärer Phantasten, die sich mit einiger Funktionslust just auf dieses klare Bewußtsein berufen, wenn es ums Wie und Warum ihrer Arbeit geht. Begriffe wie Inspiration, Traum, Fieber werden zurückgewiesen, das Handwerk und die Klarheit der Maßstäbe werden betont.
Einigermaßen sachadäquat erscheint diese Berufung aufs künstlerische Rechnen, auf den wohlgesetzten Effekt, auf »Formvernunft« (Gottfried Benn) ja noch bei den Künstlern der Science-fiction, insbesondere in der meist hyperrationalistisch sowohl erzählenden wie argumentierenden »Hard SF«, also bei Leuten wie Greg Bear, Stephen Baxter, Gregory Benford, Nancy Kress oder Greg Egan.
Die
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