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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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soll, wer vom Kapitalismus nicht reden mag, ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit, denn die modernen Greuel setzen außer dem Kapitalverhältnis Massen voraus, die von den Versprechungen des Kommunismus hörten und daran Gefallen fanden. Hat die richtige Idee, daß es jedem besser gehen könnte und daß der Zustand der Welt insgesamt ein unerträglicher ist, sich einmal in den Köpfen festgesetzt, so stirbt man in der Not nicht mehr bloß am Hunger. Die Alternative Sozialismus oder Barbarei stellt sich dann, wenn die Massen ihr Dasein nicht mehr als gottgegeben hinnehmen und es eine Rolle spielt, von welcher Art Politik sie sich die Verwirklichung der in ihnen geweckten und ihnen nicht mehr auszutreibenden Wünsche versprechen.« 147
    Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und andere, die am Ende des Ersten Weltkriegs den Zeitpunkt für die sozialistische Revolution in Deutschland für richtig, diese nämlich in der oben beschriebenen Weise für unvermeidlich hielten, hatten es daher nicht nur mit der Aufgabe zu tun, Marxens Programm zu realisieren, sondern auch mit der vielleicht noch dringlicheren, ihnen aber ganz begriffsunzugänglichen, Hitler zu verhindern, dessen Name sie nicht kennen konnten, dessen Funktion aber ihr Geschichtswissen (etwa über das Ende der Pariser Kommune) sie richtig vorauszuahnen in die Lage versetzte.
    Wer gegenüber Menschen, die sich an so einem Punkt wiederfinden, ex post factum von ungerechtfertigtem Optimismus tönt, hat vielleicht das schlimme Ergebnis, nicht aber seine paradoxen Voraussetzungen verstanden, und sollte vielleicht etwas bedachtsamer reden.
V.
Stille Feldpost der Revolution: Permanenz und Unterbrechung
    Manchmal geht gesellschaftlich erstrittenes Wissen verloren; manchmal dauert es sehr lange, bis es sich herumgesprochen hat. Noch im Jahr 2009 kann sich ein amerikanischer Hochschullehrer und Erforscher der Politikwissenschaften namens Jack Fruchtman Jr., dem es obliegt, seinem Publikum The political philosophy of Thomas Paine auseinanderzusetzen, nicht begreiflich machen, wie es möglich war, daß jener militante Aufklärer, als die ersten Ereignisse sich zugetragen hatten, die das überkommene Verhältnis zwischen monarchistischen und ständischen Institutionen in Europa und Amerika zu verändern begannen, eine globale Revolution mit dem Ergebnis der völligen Abschaffung der alten Ordnung binnen sieben Jahren voraussagte 148 – der verdutzte Ideengeschichtler nennt diesen Einfall tollkühn und kann ihn sich nur mit dem Bild der Trunkenheit erklären: »The very idea of revolution became like wine to his head« 149 – die Übervernünftigkeit, der die Unvernunft der Mitmenschen aus dem Blick gerät, wird selbst zur Unvernunft erklärt, und damit der Prophet auch so recht als raving lunatic dasteht, wird bei ihm eine Krankheit diagnostiziert, die es zur fraglichen Zeit noch gar nicht gab: Paine habe sich in eine Idee verbissen, »that the twentieth century would know as ›the permanent revolution‹, a global condition of constant upheaval until the rise of a universal civilization of reason, science, and democracy«. 150
     
    Der Philologe irrt sich; die »permanente Revolution«, an die er sich da erinnert, zeigt sich bei Trotzki und Lenin, von wo er sie nach dem Prinzip der Stillen Post in so verzerrter Weise hat grummeln hören, als etwas, das mit Fruchtmans bombastischer »global condition« herzlich wenig zu tun hat. Worum ging es? Als die Vorbereiterinnen und späteren Protagonisten der Russischen Revolution die marxistische Theorie im frühen zwanzigsten Jahrhundert ihren Erfordernissen anzupassen suchten, litt diese Theorie schon seit einer Generation (und etlichen Palliativen aus der Apotheke von Marx und Engels zum Trotz) an einer ernsten Knochenkrankheit, nämlich dem allmählich erstarrenden Denken in quasigeologischen historischen Schichten, das heißt sauber geschiedenen (und im Ansatz gar kuhnisch »inkommensurablen«) Epochen; man dachte sich den Fortschritt sozusagen gequantelt, und wer Stufen überspringen wollte, mußte sich des Synkretismus, ja Eklektizismus schuldig machen und rasch wieder ganz nach unten purzeln.
    Man erkennt darin ohne Schwierigkeiten das Erbe vor allem Condorcets, dessen progressistische Denkweise aber gegen zyklische, das heißt vicoide, oder orthogenetisch heilgeschichtliche, das heißt aquinatische, mit denen er rang, eine gewisse eristische Berechtigung gehabt haben mag. Was bei Condorcet tatsächlich eine ziemlich rigide

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