Der Implex
können, die sich gegen ihre historischen Voraussetzungen und Folgen ausgesprochen ruppig, fast schon trotzig gleichgültig verhalten. Die Revolution, scheint es, ist ein Moment, der sich für alles auf der Welt interessiert, nur nicht dafür, wo er herkommt und wo er hingeht. Kein Grund zum Verzweifeln: Dieses Erstaunliche liegt daran, daß Revolutionen Vorkommnisse sind, in denen die Geschichte das Geschichtlichsein bleibenläßt und statt dessen programmatisch wird. Plötzlich geht es um Vorsätzlichkeiten, eben noch ging es um Interessen: Das hat die Revolution mit dem Verbrechen gemeinsam – der Hungrige, der stiehlt, wird vom Objekt seiner Not zum Subjekt einer Übertretung und damit ein anderer, das heißt, wäre das Naturrecht wahr, überhaupt erst seiner selbst als Mensch bewußtgewordener Mensch. Notwehr macht wach; im günstigsten Fall verleiht sie denkenden Wesen den Impuls, feedbackarme Systeme (»Herrschaft«) durch feedbackreichere (»Demokratie«) zu ersetzen; aber dabei geht dann manchmal einiges an Information verloren, und kaum sind ein paar Jahrhunderte vergangen, verwechseln die Gelehrten Paine mit Trotzki – und verstehen beide nicht.
VI.
Erweiterte Kaputtmachbarkeit
Seit Brecht eine seiner Figuren fragen ließ, was denn schon ein Bankraub sei gegen die Gründung einer Bank, ist die Klage über Gesetzlosigkeit und Zerstörungswut von Revolutionen meistens da besonders verbreitet gewesen, wo mit ihnen nicht zu rechnen war. Revolutionen sind indes keine, wenn sie Banken nur leerräumen, Festungen nur schleifen, Institutionen nur sprengen, sie müssen schon etwas gründen können, wenn sie ihren Nutzen haben wollen; es muß ja keine Bank sein.
Die Spannung zwischen Gesetzesbruch und gesetzgebender Mission wird im revolutionären Ablauf allerdings schon vor dem Umsturz bedeutsam; Bob Dylans Mahnung »to live outside the law you must be honest« verweist indirekt darauf, daß nicht nur die Kader der Umsturzpartei, sondern selbst der Bankräuber, wenn er denn ein reflektierter wäre, nicht einfach gar keine, sondern andere Banken wollen müßte (solche, in die man nicht erst einbrechen muß, damit sie hergeben, was man braucht, zum Beispiel).
2010, während wir schon mitten in der Arbeit an einer vorläufigen Endfassung dieses Buches steckten, zündeten in Griechenland gegen allerlei Zwangsmaßnahmen und Sozialetatkürzungen zur Einhaltung der europäischen Verpflichtungen jenes Staates rebellierende Idioten eine Bank an und brachten damit Menschen ums Leben; die massenmedial daraufhin eifrig verbreitete, in Bestürzung eingekapselte Häme von Leuten, die schon immer vor dem Chaos gewarnt hatten, konnte sich wahrlich sehen lassen.
Kurz zuvor hatte man in marxianisch orientierten Kreisen das Land, das auf einen Staatsbankrott zuschlidderte, bereits für das erste kontinentaleuropäische gehalten, in dem es seit 1989 wieder spannend wurde: War Griechenland nicht auch, vom Wirtschaftlichen mal eben fast abgesehen, der Staat, in dem während der ansonsten recht trüben Nullerjahre die Bemühungen um eine neue Koordination sich als kommunistisch verstehender Kräfte zu einer Internationale am weitesten fortgeschritten waren, weiter jedenfalls als in der ehemaligen Sowjetunion, überhaupt den zerfallenden Regionen der ehemaligen Staaten des Warschauer Vertrages, wo letzte Nostalgiker sich in seltsamen Retropatriotismen einigelten?
Die ränkeschmiedenden roten Griechen rund um die KKE standen als Leninisten vor einer ernsten Bewährungsprobe, wer immer aber glaubte, sie würden die Chance nutzen können, hatte die Rechnung beim Versuch, eine feedbackarme in eine feedbackreichere Politik umzuwandeln, ohne die existierenden Öffentlichkeitskanäle gemacht: the revolution may not be televised, aber Verwüstungen und unkoordinierter Protest sind doch sehr telegen, einerseits sexy und andererseits demoralisierend nämlich, und wann können die Massenmedien sonst schon mal den beiden Seelen, die in ihnen wohnen, dem marktgängigen Sensationalismus nämlich und der systemstützenden Propagandafunktion, so schön gerecht werden wie da, wo berechtigte Wut aus dem Ruder läuft? Eine Bank brennt, darin eingeschlossene Menschen sterben, und die Musik dazu erinnert an eine, die man aus der Großberliner Presse kennt, auch der sozialdemokratischen, als die es sich nicht nehmen ließ, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht als entmenschte, brandschatzende Ungeheuer, zumindest aber hinter diesen stehende
Weitere Kostenlose Bücher