Der Implex
ableiten). Der präfaschistische Ideologe Georges Sorel hat das Voluntarismusproblem statt nach dieser Seite der Konkretion, des Operativen und Instrumentellen (der sogenannte Wille der Aufständischen, sagen wir, ist eben auch kein transzendenter Revolutionsquell, sondern nur eine soziale Maschine unter vielen, die auch kaputt sein kann) bekanntlich in einer »antimaterialistischen Marxrevision« nach der genau entgegengesetzten Richtung aufgelöst, wonach der Wille alles, die tatsächlichen Programme, Strategien und Taktiken rein gar nichts seien; sein Schüler Mussolini hat sich das mit ebenfalls bekannten Folgen zu Herzen genommen, und Hitler war bis zum Schluß, bereits umzingelt von der Roten Armee, der eisern gegenaufklärerischen Ansicht, das zwanzigste Jahrhundert werde nun endlich mit dem seit der Französischen Revolution in der Politik verwirklichten »Zeitalter des Intellekts« brechen und an seiner Stelle das »Zeitalter des Willens« setzen (ein bißchen schlecht verdauter Nietzsche spielte da auch eine abgeschmackte Rolle). Daß man Lenin gelegentlich mit Blanqui verwechselt und die Revolution der Bolschewiki von 1917 für eine voluntaristische Veranstaltung gehalten hat, daß aber auch von Spontis bis zu den Autonomen Sorelsche Züge auf der Linken noch nach dem Zweiten Weltkrieg vorgekommen sind und in jüngster Zeit auch das vieldiskutierte französische Manifest Der kommende Aufstand passagenweise bis in einzelne Entscheidungen der Wortwahl nach Sorel schmeckt, sollte allemal zur vorsichtigen Einzelfallunterscheidung mahnen, bei der Propaganda und Interessen der bewußten und der bloß ihrer Schwerkraft erliegenden Hilfskräfte der bestehenden Ordnung nicht übersehen werden dürfen.
IV.
Eifer des Gefechts: Spontan prophetisches, paradox langfristiges Wissen
Once a thing is seen, it cannot be unseen: Es gibt für Leute, die eine Revolution machen, neben den affektiven, den erleuchteten und den gesetzesbrecherischen auch noch einen rationalen, die Richtigkeit der Überzeugung aber gleichwohl nicht garantierenden Grund, das, was sie da tun, für unvermeidlich zu halten: Meistens tun sie das nämlich erst, während bereits unumkehrbare revolutionäre Prozesse (im Kontext eines Gesamtablaufs, der aber trotzdem vielleicht nicht ans Ziel gelangt) im Gang sind – die Prophezeiungen, in denen das Unvermeidlichkeitsempfinden sich artikuliert, sind dann aber nicht solche, die etwas Nichtvorhandenes als bevorstehend beschreiben, sondern etwas Begonnenes als vollendet. Was daran richtig ist, muß niemanden optimistisch stimmen: Entwicklungen im Rahmen umfangreicher Antagonismen können eben immer nur entweder zu ihren impliziten positiven Resultaten fortschreiten oder einen schlimmeren als den status quo ante vorbereiten; arretieren lassen sie sich nie (der Katechon ist ein Schmittsches Märchen beziehungsweise eine Figur, die etwas als konservativ, bewahrend also, ausloben soll, das in Wahrheit einfach reaktionär ist, also herrschaftssichernd auch um den Preis der Nichtbewahrung sozial sogar den Beherrschten zuträglicher Aspekte des bestehenden Herrschaftssystems).
Selbst im aus heutiger Sicht so unangemessen siegesgewissen Manifest der Kommunistischen Partei schwingt davon eine Ahnung mit, in dem berühmten Satz, der als den die Alternative zur Revolution benennenden möglichen Ausgang von Klassenkämpfen den gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen anführt.
Dieser Zwang der Nichtarretierbarkeit gilt nicht erst für Straßenkämpfe, Guillotinierungen und Schießereien, sondern gerade auch für revolutionäre Geschehnisse, die so weitreichend (und daher in kurzer Zeit gar nicht vollendbar; das ist wie im Lichtkegel, wo eine bestimmte Signalausbreitungsgeschwindigkeit jede Definition von »Ereignis« bindet) sind wie etwa die Ersetzung der ständischen Welt durch die bürgerliche oder die Ersetzung dieser späteren durch eine sozialistische. Nach einer Art Pendelfluchgesetz des verpfuschten Fortschritts sind dabei Rückschläge oft verheerender, als es jedes bloße, aber eben sachlich unmögliche Zurückschnappen auf den blödsinnigsten status quo ante sein könnte – Wolfgang Pohrt über einige Folgen des Untergangs der Sowjetunion:
»Wie die auf halbem Weg steckengebliebene Aufklärung schlimmer als keine ist, insofern Millionen Analphabeten besser als Millionen Bild-Leser sind, macht jede mißlungene Revolution die Verhältnisse schlimmer, als sie waren. Daß vom Faschismus schweigen
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