Der Implex
werden, als sie jetzt sind, statt darauf zu warten, daß es die Maschinen tun, die sich ja, wenn sie denn wirklich einmal (oder gar: bald) zur eigenen Willensbildung fähig sein werden, vielleicht gar nicht mehr groß darum scheren werden, was wir wollen und was uns gefällt? Die singularity müßte, wie jede einigermaßen radikale Phantasie davon, was auf diesem Planeten noch alles möglich ist, also eher Anreiz sein, eine Welt zu schaffen, in der die Maschinen und die Menschen miteinander auskommen können, und mehr als das wollte der ganze Sozialismus nie, weder der utopische noch der Marxsche: daß das, was wir geschaffen haben, uns nicht versklavt.
Man kann, wenn man »die Menschen« als Abstraktion mit ein paar besonders eindringlichen Bildern davon, was empirische Menschen mit empirischen Menschen angestellt haben, überblendet, ja sagen: Weg mit den Menschen, echte Singularisten weinen ihnen keine Träne nach. Wir hätten das, was der Ausdruck Mensch seit dem Humanismus gemeint hat – eben nichts Positivistisches, sondern etwas durchaus Normatives –, aber schon gerne verwirklicht gesehen. Das mag Geschmackssache sein. Vielleicht erübrigt es sich, wenn Geschöpfe die Welt bevölkern, die uns (wie immer man das bestimmen möchte) überlegen sind; aber die meisten Freundschaften, die man hat, sind ja auch nicht anders: Dieser kann jenes besser als ich, jene dieses, ich aber vielleicht wiederum etwas besser als alle beide, und dann erwachsen aus Kooperation wieder Vorteile für die daran Beteiligten. Sollte man uns in absehbarer Zukunft von Maschinenseite als Legehennen verwenden, hätten wir uns über die menschlichen Potentiale geirrt, bis das eintritt, ziehen wir es aber vor, die »Apparate« der Singularitätsprophetik als das zu lesen, was Apparate derzeit nach wie vor sind: schaltplanartig erfaßbare Beschreibungen von Verhältnissen zwischen Menschen, die man sehr wohl daraufhin überprüfen kann, ob sie sinnvoll, in irgendeinem Verständnis zweckmäßig sind, Leidensquellen, Glücksgelegenheiten, und ob sie sich dem, was niemand je nicht gewollt hat, sobald ein Begriff davon da war, was »wollen« bedeutet, anpassen lassen: Auskommen, Freiheit, Mitsprache.
VIII.
Wen braucht eine Revolution?
Wenn man das Gemeinwesen umgestalten will, braucht man Technikerinnen, weil die Revolution das Gemeinwesen vermutlich vor technische Probleme stellt, man braucht Soldatinnen, weil sie es mit militärischen, Produzentinnen, weil es sie mit die Versorgung betreffenden, Medienleute, weil es sie mit Aufklärung verlangenden konfrontiert, kurz: Man braucht eigentlich alle, die eine vorhandene, durch Revolution abzuschaffende Ordnung auch braucht, die stabilisiert werden soll. Wie kriegt man die, oder weniger naiv gefragt: Wie wirbt man sie ab? Das klassische Modell, von Frankreich 1789 bis noch in die unübersichtlichste lateinamerikanische Gegenwart, sagt: Indem man ihnen gemeinsame Interessen als Hintergrund des im Alltag erlebten Trennenden zeigt, indem man also innerhalb des Gemeinwesens überall existierende Auseinandersetzungen und Antagonismen als Konflikte mit der Herrschaft überzeugend neu formuliert; sie in einen größeren Kampf um Transformation »englobiert« – den Begriff hat der späte Carl Schmitt sich bei François Perroux geborgt, er spielt eine gewisse Rolle bei der für den überzeugten Reaktionär sehr unheilvollen Vorhersage, man müsse mit einer »legalen Weltrevolution« sozialistisch orientierter Bürokratien rechnen, sozusagen einer Spenglerschen Variante der Adorno und Horkheimer eingefallenen Theorie von der »verwalteten Welt«.
»Gemeinsames Interesse« kann nur heißen: Sie sind in untereinander vergleichbarer Art davon ausgeschlossen, darüber zu bestimmen, was mit ihnen passiert. Dafür, daß sie das als Mißstand begreifen lernen, den man beseitigen kann und soll, müßten sie aber auch die Erfahrung machen, daß diese Beseitigung technisch (im Sinne unseres Wortgebrauchs im fünften Kapitel) möglich wäre, am besten aber: daß sie nötig ist. Und das werden sie nur einsehen, wenn man sie an die liberalen Versprechen der bürgerlichen Welt, an die Programmatik der Aufklärung erinnert und ihnen (also: »uns allen«, wirklich wie in den albernsten Sonntagsreden bürgerlicher Politik) begreiflich macht, daß das eine gute Programmatik war, die aber im Spiel, wie es seither gespielt wird, keine Aussicht auf Verwirklichung hat: Auskommen, Freiheit, Mitsprache.
IX.
Kein
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