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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Dampfkessel
    Wenn es den Leuten reicht, knallt es: Die These ist so falsch, nämlich immer nur relativ zu wirklichen, faßbaren Aussichten auf Besseres richtig, wie die ihr verwandte Verelendungstheorie (die ebenfalls nur als relative stimmt, wenigstens von der »Kluft zwischen Arm und Reich« und der Zunahme der Unsicherheit muß sie handeln, damit sie die Wirklichkeit zu fassen kriegt, eine Dimension weniger, und sie wird Quatsch).
    Aufmerksamen Menschen wie Talleyrand ist aufgefallen, daß Revolutionen sich nicht dadurch ankündigen, daß die Leute immer bedrückter und wütender werden (das kommt beides vor, ist aber nicht zwingend), sondern dadurch, daß sie (sei es im Elend, sei es im relativen Wohlstand) anspruchsvoller werden, als die Herrschaft vorgesehen hat. Das Bestehende schafft nicht ab, wer vor lauter Unerträglichkeit dieses Bestehenden nicht mehr ein noch aus weiß, sondern nur, wer etwas Besseres für erreichbar hält: Das ist nicht dasselbe (natürlich gibt es einen Grenzwert, an dem die beiden zusammenfallen, nämlich den Gedanken: »Alles wäre besser als das, was jetzt ist«, aber will man darauf warten, daß der erreicht wird?). Das erwartbare und nicht dumme Gegenargument lautet, man dürfe ja wohl nicht darauf verzichten, die Widersprüche zuzuspitzen und auf die sich unterm Druck der Herrschenden immer wieder wirklich – nicht nach irgendeiner Verelendungstheorie, sondern tatsächlich – verschlechternde Lage der Ausgenutzten, Ausgegrenzten, Unterdrückten mit Empörung (man kann sich selbst empören, aber auch, in einer auffällig selten gebrauchten älteren Variante des Umgangs mit diesem Verb, andere) zu reagieren. Rät uns Talleyrand, sagen die, denen an diesem Argument etwas liegt, denn etwa dazu, die Ansprüche der Beherrschten zu heben, indem wir irgendeinen Sozialstaatskrempel verteidigen, damit gut versorgte Abhängige nicht verzweifeln, sondern Ansprüche über die Versorgung hinaus entwickeln, und will Talleyrand, daß wir vergessen, auch der schönste Sozialstaat ist unter den gegebenen Voraussetzungen vor allem Herrschaftsmittel, das die Leute ihrer Eigeninitiative enteignet, vereinzelt, befriedet?
     
    Widersprüche zuspitzen statt verkleistern also, nun gut, aber dabei hilft es, nicht aus den Augen zu verlieren, was ein Widerspruch eigentlich ist: »Es ist alles schlechter als gestern« ist jedenfalls keiner, »es ist schlechter, obwohl noch mehr Mittel dafür da sind, daß es besser sein könnte« dagegen schon. Man muß also bei der Aufklärung, die das Handeln anleiten und ermutigen soll, nicht nur herausarbeiten, daß das Leben unter der Herrschaft scheußlich ist, sondern die Werkzeuge der Freiheit bereits bereitlegen, und zu diesem Zweck empfiehlt es sich, den mächtigen Gegner zu nötigen, zu zwingen, die Kampfbedingungen der Revolution selbst zu verbessern. Bloßer Antireformismus ist nicht revolutionär, auf Reformen im Sinne der Lebensverbesserung sollte man aus vielen Gründen, nicht nur dem der Anspruchshebung, bestehen, nur damit abspeisen lassen darf man sich nie. Manchmal reicht es, die loyalitätsbindenden Versprechen der Herrschaft – die ja schließlich, wenn sie nicht nur mit Polizeigewalt regieren will, was auf die Dauer sehr kostspielig und sehr instabil wäre, den Beherrschten irgendeinen Nutzen ihres Vorhandenseins einreden muß – beim Wort zu nehmen und sie so entweder per Judo auf die Matte zu werfen oder, und das ist der wahrscheinlichere Fall, die Versprechen als unerfüllt und im Rahmen der Herrschaft unerfüllbar zu blamieren.
     
    Die besten Erfahrungen mit dieser Strategie haben im zwanzigsten Jahrhundert wohl die antirassistische Bürgerrechtsbewegung in den USA, der Feminismus, die Umweltleute und (für eine Weile, an manchen Orten) einige der übrigen Neuen Sozialen Bewegungen gemacht; nur waren unter diesen traurigerweise nicht genügend Menschen, die verstanden, daß jeder Erfolg solcher Bewegungen eine grundlegende Transformation der verkehrten Gesellschaft nicht nur keineswegs überflüssig, sondern im Gegenteil immer sinnvoller und erreichbarer machte; es ging ihnen wie Spielern, die das Gewonnene, da sie keine andere, längerfristige sinnvolle Anlagemöglichkeit dafür sehen, so lange wieder auf den Spieltisch legen, bis es wieder zu schrumpfen beginnt (wie dieses Schrumpfen aussieht, kann man, angefangen mit Susan Faludis Backlash , in sehr viel Literatur über die Fährnisse des Feminismus und sogenannten Postfeminismus seit den

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