Der Implex
dürfen – das ist in unserem gedanklichen Zusammenhang, wie man aus vorherigen Erwähnungen des Pragmatismus weiß, kein uneingeschränkt lobendes Wort; derjenige unter den Aufklärern, den wir als Denker des Sozialen für den größten halten, Condorcet, war zweifellos der antipragmatischste und unrealistischste: Als die Aufklärung rings um ihn her immer politischer wurde, dachte er lieber über die ferne Zukunft nach wie Goethe, als in Deutschland die bürgerliche Epoche sich abzuzeichnen begann; als den anderen Aufklärern bewußt wurde, daß sie die Gesetze machen müssen, suchte er lieber nach Gesetzen, die immer gelten; als man in Montesquieus Gewaltenteilungslehre das non plus ultra der natürlichen, richtigen, wahren, schönen, guten Staats- und Regierungsform erkannt zu haben meinte, kritisierte er sie von ihren unleugbaren Redundanzen her und schlug eine andere vor, welche die Zeitgenossenschaft intellektuell überforderte; als der absolutistische Königsthron bereits wackelte, setzte er sich plötzlich dafür ein, den König als lebenden Ausdruck des gesellschaftlichen Gesamtinteresses und über den Parteien stehendes Staatsprinzip unbedingt zu schützen; als die Revolutionäre sich das amerikanische Vorbild zu Herzen nahmen, analysierte er es kühlen Kopfes und in aller Seelenruhe als für seinen Geschmack allzu zufälliges Geschichtsprodukt und schloß sich dem Lob für die in der Luft liegende Idee des föderativen Staates nicht an – immer setzte Condorcet die Dinge, die er betrachtete, unter die Bestimmungen seiner eigenen Vernunft, statt aus der Empirie des Politik- und Sozialwissenschaftlers, ja in vielem: des Begründers solcher Wissenschaften, der er war, den Fetisch zu machen, für den »Pragmatismus« oft das vornehme Wort ist.
Die Einheit des Landes war ihm wichtig, weil ihm die Gleichheit der Menschen jenseits von Ständen wichtig war (auch den Gedanken hat das zwanzigste Jahrhundert dann völkisch verdorben; theoretisch geht er noch, mit bedauerndem Blick zurück, zu rekonstruieren, praktisch am reichen Ort kaum mehr); die kleinen Verwaltungen sollten nur einfachste administrative Aufgaben wahrnehmen und dabei immer wissen, woher der souveräne Wind pfeift, wer wen wohin delegiert hat – Condorcet, tatsächlich, unterschied zwischen Verwaltung und Staat; der Staat, das war die Idee »Es gibt Makro-Probleme, für die brauchen wir Makro-Instanzen«, die Regierung, das war der praktische Hebel für diese Idee, ohne sie wäre der Staat im besten Fall eine von Idealisten aufgezogene Bürokratie.
Realisten, Pragmatisten, Idealisten, das sind, lehrt die Geschichte seit den Revolutionen Amerikas und Frankreichs, alles Leute, die nicht sehen wollen, daß vernünftige Politik zwar einerseits eine normative (nicht positivistisch anzufassende), andererseits aber auch wieder keine ideelle Sache ist. Munter durcheinander geht daher meist alles, wofür die Unterscheidung zwischen Staat und Regierung gebraucht würde, wenn man sie hätte. Wenn unter liberalem Rechtsstaat verstanden wird, daß irgendwer die Verträge beschirmen muß, heißt das noch nicht mehr, als daß innerhalb der Gesellschaft Menschen dafür freizustellen sind, als besondere Profession die Geschäfte der Gesamtgesellschaft im Blick zu halten – soweit nichts Absurdes, Adam Smith dehnt in seinen Texten über die Arbeitsteilung diese ja bewußt selbst bis auf Philosophen aus: »In the progress of society, philosophy or speculation becomes, like every other employment, the principal or sole trade and occupation of a particular class of citizens«; 158 von der Arbeit aus betrachtet, ließe sich also sagen: Staat, das sind alle, deren Arbeitgeber alle anderen sind. Die können dann auch, vom Vertragswesen im engeren Sinn abgesehen und in Erweiterung dessen, was man sich unter Heer oder Polizei vorstellen mag, den Wasserstand messen, um die Deichbauer zu informieren, die Priester ausbilden, Patente archivieren, es kommt halt immer nur darauf an, was das jeweilige Gemeinwesen als gesamtgesellschaftliches Problem zu betrachten und zu behandeln bereit ist. Die Regierung aber ist der Ort, wo das Gewaltmonopol sitzt – die anderen als staatlich vorstellbaren Kräfte haben ja nicht unbedingt ein Monopol, brauchen auch keins, damit der Staat sein kann: Jeder kann aus Spaß den Wasserstand messen, jede ihr Wissen als Ausbilderin auf dem Markt verkaufen, nur ob das Amtsanmaßung ist und die entsprechenden ausgegebenen Lizenzen irgendeine
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