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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Rechts, verschiedene Arten von – wie gewisse frankophone Theorien nahelegen möchten – pouvoir, dann treten keineswegs Würde und Schönheit ins zwischenstaatliche Leben, sondern das Recht des Stärkeren, das Schmitt am diskriminatorischen Krieg mißfällt, tritt einfach pur auf, ohne jede Rechtssicherheit aus Positivität, und man kann eigentlich nicht einmal mehr von Kriegen sprechen, sondern nur noch von geglückten und mißlungenen Überfällen (so dürfte Hitler gedacht haben, seine ganze Kriegspolitik zeigt das), und nicht mehr von Revolutionen, sondern nur noch von gelungenen und mißlungenen Machtergreifungen (ein militärpolitisches Korrelat von Rosa Luxemburgs Parole »Sozialismus oder Barbarei« steckt darin: entweder open conspiracy oder bellum omnium contra omnes) .
     
    Revolutionen hat es in der Geschichte tatsächlich gegeben; ihr spezifisches Medium als besondere Sozialtatsache bewirkt, daß man ihre Form nicht beschreiben kann, ohne ihr zugleich einen Inhalt zu geben. Die meisten praktisch mit ihnen Beschäftigten, auf gegnerischer wie revolutionärer Seite, haben die dabei nötigen Fragen wesentlich gescheiter beantworten können, als wir sie hier überhaupt zu stellen vermochten; das ist ein Theoriemalus, den nur Praxis beheben kann; selbst so vorzügliche Bücher wie Curzio Malapartes Technik des Staatsstreichs oder Marcel Mariëns Weltrevolution in 365 Tagen waren gegen diesen Makel nicht gefeit, und vielleicht muß man wirklich eine ganze Gesellschaftstheorie ausarbeiten, um auch nur eine halbwegs plausible Revolutionstheorie zustandezukriegen; aber dann wieder macht man es wohl am besten so wie Marx, der die Gesellschaftstheorie, die er entwarf, erkennbar bloß als ausformulierte Revolutionstheorie betrachtete (der ganze Kapitalismus hat in seinem System überhaupt nur insofern einen Sinn, als er die Tür zur sozialistischen Revolution ist, ansonsten hätte es sich gar nicht gelohnt, ihn zu beschreiben, geschweige zu erklären). »Das spezifische Medium der Revolution« haben wir für diese verzwickten Umstände soeben verantwortlich gemacht; wir wollen es gern beim Namen nennen: Es heißt, jedenfalls in der bekannten bisherigen Geschichte, Staat.

ZEHN
L’ÉTAT ET NOUS
I.
Untaten in Unstaaten
    Der Staat hat, wie alles, eine Natur – das bedeutet bei uns: An ihm findet man Attribute, die man durch Sprechakte allein nicht loswerden, vermehren oder verändern kann. Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, bei denen die »soziale Konstruktion« von beliebigen Daten und Sachverhalten aller Art, also der inzwischen schon wieder etwas verblaßte große »Kampfbegriff« (so nannte ihn noch 1999 Ian Hacking in einer ersten Zwischenbilanz der betreffenden Auseinandersetzungen) der Geisteswissenschaften in den neunziger Jahren für das Interessanteste an diesen Daten und Sachverhalten gilt, werden nicht glücklich damit sein, daß das Allersozialkonstruierteste von der Welt, der Staat, unserer Ansicht nach etwas hat, dessen Vorhandensein sie überhaupt bestreiten, nämlich eine Natur. Aber bevor man sich darüber in die Haare gerät, werden wir lieber genauer und stellen fest, daß wir das vor allem historisch meinen: Hätten die auf Sprache, Sprechakte, Diskurse abonnierten Köpfe recht, dann gäbe es den Staat eigentlich erst seit der Renaissance, nämlich seit Machiavelli von lo stato zu sprechen und zu schreiben anfing und damit die meisten modernen Lehren zum Thema ins Leben rief; Platons politeia meinte noch durchaus anderes als den politischen Streitraum, den der Italiener entwarf, nämlich ein Aufmarschgebiet des Zusichkommens höchster Ideen (das griff dann später Hegel wieder auf, wobei der Welthaltigkeit seiner einschlägigen Ausführungen sehr zugute kam, daß das Wort seither durch eine extensive machiavellistische Erfahrung gegangen war).
     
    Die Babylonier, Ägypter und Römer hatten zwar auch alle einen Staat gehabt, aber eher im Sinne eines Verwaltungssystems – den Unterschied sowohl der platonischen wie der verwaltungstechnischen Staatlichkeiten zum mit der Renaissance entstandenen Novum, daß der Staat etwas sei, das den Absichten autonom handelnder, nicht erpreßter, nicht epreßbarer Menschen, ihre Geschichte selbst zu machen, den quasi naturrechtlichen, nicht weiter hintergehbaren Rahmen stecken soll, erläutert Hannah Arendt in On Revolution :
    »Das Wort lo stato kommt aus dem lateinischen status rei publicae, das seinerseits ›Staatsform‹ meint und in

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