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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Neunzehnhundertsechzigern und -siebzigern gab es in allen demokratischen Ländern Menschen, die gar keine Macht hatten, und dann gingen diese Menschen zu denen, die alle Macht hatten, und sagten: ›All diese Grundsätze der Gleichheit, von denen ihr uns seit der Französischen Revolution erzählt, sind ja schön und gut, aber ihr scheint sie nicht sehr ernst zu nehmen. Wenn man es genau nimmt, seid ihr Heuchler. Also werden wir jetzt dafür sorgen, daß ihr diese Grundsätze ernst nehmt.‹ Dann veranstalteten sie Demonstrationen und Busfahrten und besetzten Häuser, was ziemlich unangenehm für die Menschen war, die die Macht hatten, weil die anderen Menschen so gute Argumente hatten und ihnen jeder zustimmen mußte, der ihnen aufmerksam zuhörte. Der Feminismus und die Bürgerrechtsbewegung setzten sich immer mehr durch, und alle anderen Initiativen für soziale Gerechtigkeit erhielten immer mehr Unterstützung. Und in den Neunzehnhundertachtzigern beschloß die CIA (…), eine Gruppe sehr kluger Linguisten zu beauftragen, eine Geheimwaffe zu entwickeln. Und zwar eine unglaublich komplizierte Art, über Politik zu sprechen, die überhaupt keinen Sinn ergab, die sich aber schnell über alle Universitäten der Welt ausbreitete, weil sie so eindrucksvoll klang. Und zuerst haben die Leute, die so sprachen, einfach ihren Waggon an die Gerechtigkeitsbewegungen angehängt. Niemand hatte etwas dagegen, weil sie völlig harmlos wirkten. Doch dann bestiegen sie den Friedenszug und warfen den Lokführer hinaus. Also gingen sie nicht mehr zu den Mächtigen und sagten: ›Wie wäre es, wenn ihr euch wirklich mal an die Grundsätze halten würdet, von denen ihr angeblich überzeugt seid?‹ Nun sagten die Menschen in den Bürgerinitiativen statt dessen Sachen wie: ›Unser Wahrheitsnarrativ konkurriert mit eurem Wahrheitsnarrativ.‹ Und die Leute, die die Macht hatten, antworteten: ›Ach, du meine Güte! Jetzt habt ihr uns aber erwischt!‹ Und alle anderen sagten: ›Wer sind diese Idioten? Wie sollen wir ihnen trauen, wenn sie nicht einmal vernünftig sprechen können?‹ Und die CIA war glücklich. Und die Mächtigen waren auch glücklich. Und die Geheimwaffe lebte viele Jahre lang an den Universitäten fort, weil es jedem, der an dieser Verschwörung beteiligt gewesen war, viel zu peinlich war, zuzugeben, was sie getan hatten.« 167
    Die Sprachkritik hat natürlich einen Haken: Die Schwätzerinnen und Schwätzer reden manchmal auch deshalb so unverständlich, weil das, was sie sagen wollen, in der vernünftigen, der normalen Sprache nicht vorkommt, etwa weil es wirklich neu ist oder längst vergessen. Anders als die des Satirikers, der an dieser Stelle so ungerecht sein darf, wie er will, sollte die Kritik an universitärem und para-universitärem Unfug aufs Inhaltliche zielen (Egans böses Wahrheitsnarrativbeispiel ist ja deshalb so gut, weil es ihm erlaubt, mit der Inkommensurabilitätstheorie einen tatsächlich ganz besonders falschen Gedanken zu attackieren, nicht nur ein hochtrabendes Geschwafel), die Hinweise auf dessen Beschaffenheit aber, die sich an der Sprache bemerkbar machen, allerdings auch nicht verschmähen.
VIII.
Bonapartismus revisited
    Geplante Sozietäten, das heißt solche, in denen die Übereinkunft der Menschen nicht mehr wie bei Rawls hypothetisch, sondern praktisch-historisch ist, erscheinen am Horizont des Denkbaren mit der Aufklärung, am Horizont des Wahren mit Hegel, am Horizont des Machbaren mit der Französischen Revolution. Horizonte sind gut und schön, aber die Politik ist die Sache des Hier und Jetzt: So sieht das ein Napoleon Bonaparte. Wie sieht das ein Bonapartist? Peter Hacks:
    »Wenn also Hegel und der Bonapartismus das Verschwinden der Gesellschaft im Staat als höchsten Zustand der Freiheit bezeichnen, ist das kein weltfremdes Kathederparadox und nicht der trockene Humor der Despoten. Es ist das Programm der lebendigsten Emanzipationsarbeit, es geht um ganz alltägliche Dinge wie Vorspann oder Brauereibann, um das Mittagessen von Äbten oder Apothekern. Wir Kinder des zwanzigsten Jahrhunderts hatten vielleicht gelegentlich ein wenig mehr mit dem Staat zu tun, als uns ganz recht war. Aber wir sollten darüber nicht vergessen, ein wie grauenvolles und beengendes Zusammenwirken von Zwängen das Verschwinden des Staates in der Gesellschaft bedeuten würde. Ein gewisser Schauder sollte uns bei der Steinschen Forderung (also dem Verlangen eines Romantikers und damit Antibonapartisten,

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