Der Implex
beliebig wahnhafte, dürfen im politischen Streit nicht Platz greifen, wenn man die Vorrechte des Führers, die unbedingte Souveränität (extremstes Merkmal ist der Leben-und-Tod-Dezisionismus: »Wer Jude ist, bestimmen wir«) nicht von vornherein durch unerwünschte Keime der Rechtssicherheit im Unrecht beschädigen will. Strasser hat gegen Begriffe wie Rasse und Klasse einfach einzuwenden, daß es überhaupt Begriffe sind; ob sie irgend etwas Wirkliches bezeichnen oder nicht, ist ihm nachrangig, er sieht nur, was damit gemacht wird, und trifft sich darin mit denen, die, an zwei ganz verschiedenen diskursiven Polen angesiedelt, solche Begriffe entweder von vornherein verurteilen oder aber sie untereinander nicht nach ihrer unterschiedlichen Weltadäquatheit und Zweckbestimmung wägen wollen.
Demgegenüber ist festzuhalten: Die Klasse als soziale Größe wird von Marx und Engels gerade nicht eingeführt, um auf ein legitimatorisches Substrat, eine ontische soziale Universalie und Essenz zu zeigen, die das weitere Vorgehen in Theorie und Praxis dann gleichsam transhistorisch rechtfertigt, wie das beim Rassismus oder beim Religionskrieg der Fall ist, sondern um eine vorhandene Praxis zu beschreiben, an die jede Veränderung anschließen muß, deren gedankliche Voraussetzungen nicht im reibungsfreien normativen Idealismus hängenbleiben wollen. Wer »Klasse« so sagt, wie Marx und Engels das taten, will die Klassen abschaffen, weil er sie als das Übel identifiziert, das die Verwirklichung der von vornherein die Theorie bedingenden und speisenden, nicht erst von außen an die Beschreibung der Lage heranzutragenden Bestimmungen Freiheit, Gleichheit, Menschheit behindert. Wer aber etwa »Rasse« sagt oder »Ungläubige«, will bestimmte für an sich selbst unveränderlich und anders als durch Ausrottung nicht für abschaffbar gehaltene Rassen und Gemeinden anderen unterwerfen, niemals aber das Rassensystem als solches in einem Akt immanenter Kritik sprengen, sondern beruft sich darauf geradezu als auf eine oberste Wesenheit, die dem Menschlichen innewohnen soll wie das Leben für die Hylozoik den Sachen – es ist ihr oder ihm ens realissimum, nicht vorgefundener, verwerflicher und daher zu überwindender Zustand am Ende eines verkehrten Geschichtsgangs.
Marx sagt: Das gibt es, weil wir nicht geplant haben; Freiheit bestünde darin, es zu beseitigen. Ein Rassist wie Gobineau oder Ford sagt: Das gibt es, ob wir planen oder nicht; unsere einzige Freiheit besteht darin, den ewigen Gesetzen, die durch Planung (z.B.: jüdische Machenschaften) vorübergehend außer Kraft gesetzt wurden, erneute Geltung zu verschaffen, denn tun wir das nicht, so machen sie sich eben auf unsere Kosten geltend, und wir gehen unter.
Wer diesen Unterschied kennt und ernst nimmt, muß allerdings die Klassentheorie deshalb noch nicht mögen, wenn auch vielleicht lieber als den Rassismus. Aber wer, könnten Bestürzte fragen, will sich wirklich entscheiden müssen zwischen Pest und Cholera, Aids und Krebs? Einige derer, die so fragen, arbeiten sich – in Krisenzeiten etwas kleinlauter, in Zeiten der Konjunktur, Prosperität oder gar Vollbeschäftigung entsprechend markanter – gern an der Relation zwischen Zweck und Mittel ab; sie sagen Dinge wie: Wir wollen gar nicht leugnen, daß es Klassen gibt, nämlich unterschiedlich begünstigte Menschengruppen (wobei gern offengelassen wird, wer da die Gunst vergibt, im Hintergrund spukt ein deus sive natura , der nicht weniger theologisch dadurch wird, daß man ihn seit der Studentenbewegung gern »die Gesellschaft« oder »das Soziale« nennt), wir teilen sogar das Ziel der Marxisten, diese Klassen, wenn denn irgend möglich, abzuschaffen, aber was uns wirklich stört, das ist das zusammengesetzte Hauptwort »Klassenkampf«. Das ist uns nämlich wahlweise zu kalt, zu darwinistisch-technokratisch (soll man etwa vom individuellen Leid absehen, das solche Kämpfe mit sich bringen? Ist das nicht instrumentelle Vernunft vom Gröbsten, und an der falschesten Stelle, im Menschlichen nämlich – sind euch die Menschen nur Werkzeug?) oder aber ganz im Gegenteil zu unwissenschaftlich-hitzköpfig, zu haßerfüllt, in beiden Fällen aber unbedingt zu totalisierend, eben in Strassers Sinn »einseitig« (müssen die Klassen immer und überall kämpfen? Ist es nicht vielmehr so, daß sie auch auf großen Gebieten des sozialen Lebens in sehr fruchtbarer, ohne die entsprechende Aufgabenteilung lange nicht so
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