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Der Implex

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Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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ums Politische geht), sondern an abzählbaren Anlässen packen will. Marx denkt sozusagen kriminologisch statt ethisch (der Unterschied zwischen Krieg und Verbrechen ist ja nicht erst seit dem zwanzigsten Jahrhundert nicht allzuscharf zu ziehen; künftige Zeitalter werden hoffentlich einmal lange grübeln müssen darüber, warum die Historiographie unserer Tage etwa zwischen der Wehrmacht und der Waffen-SS so fleißig differenziert). Es wird gewiß Menschen geben, die auch dann, wenn sie weder Gelegenheit noch Not haben, Verbrechen begehen, daß es aber erheblich weniger sein dürften als im entgegengesetzten Fall, lehrt die einfachste, soziologisch unterrichtete bayesianische Abwägung – die allerdings Angst macht, so wie jede Überlegung, die dem Zufall Platz im Menschenleben oder sogar eine Entscheidung über Sein oder Nichtsein einräumt – »Bis heute ist unser Verhältnis zum Zufall von der Erfahrung des Ersten Weltkriegs geprägt, als der Zufall tonnenweise über die Menschen kam«, schreibt Henning Ritter, »bis zur Ununterscheidbarkeit uniformiert, waren die Menschen Kaskaden von Geschossen ausgesetzt, die in jedem Augenblick jeden treffen konnten. Es gab nur den Zufall, denn es war ebenso Zufall, getroffen wie nicht getroffen zu werden.« 196 (Und damals gab es doch immerhin noch die Unterscheidung zwischen Uniformierten und Nonkombattanten, mit der dann der nächste, der »totale Krieg« Schluß machte; seither ist tendenziell für alle wahr, was Tim Blackmore als besondere Erfahrung von Soldaten beschrieben hat, wonach die nie genau betrachtete, immer nur wolkig gespürte Grundregel des eigenen Empfindens und Verhaltens im Krieg außer Kraft gesetzt sei, daß »bad things don’t happen to people who wish others well; arbitrary death, maiming, loss of self cannot befall the indomitable hero« 197 , der wir immer selbst sind – die erfahrungsmäßige »computationale Irreduzibilität« des eigenen Lebens gilt nichts vor einem Universalprogramm, das tatsächlich nicht berechenbar aussieht, truly random , aber es nur in Grenzen ist, die wir allerdings nicht sehen können, und die uns, könnten wir es, über keinen Tod trösten würden. Jedes vernünftige Geschichtsbild, auch das Marxsche, muß diese Ratio zwischen dem Berechenbaren und dem Unberechenbaren verfehlen, obwohl sie nichts Irrationales ist, das etwa der Vernunft solcher Geschichtsbilder an sich feindlich gegenüberstünde; aber die Vernunft, die etwa Augenmerk auf Produktion, Verteilung, Energieaustausch und Information legt, ist ein Zweck-Mittel-Verhältnis, das der arbiträren Beseitigbarkeit von Individuen, die Zwecke setzen und Mittel auswählen, nie gerecht werden kann. An Bayes hat der gute Wille Condorcets die Grenze; Menschen, die sozialen Fortschritt denken und machen möchten, tun gut daran, das nicht zu vergessen; Scheu vor dem Zufall gebietet, die Bereiche, in denen er herrscht, so gut es geht, begrifflich und politisch abzusperren, hic sunt leones ).
     
    Noch eine so späte, von linksradikalen Selbstverkennungen geschmückte wie entstellte Erscheinungsform des klassisch liberalistisch-bürgerlichen Freiheitsstrebens wie die Studentenbewegung der späten Sechziger des letzten Jahrhunderts hat ihr Bewußtsein davon, was Politik überhaupt sei, im imperialistischen Kernland USA an diesem Umschalten vom ethischen zum kriminologischen Denken geschult, an der Doppelinjektion Kriegsdenken und Marxismus; in Erinnerungen Beteiligter kann man nachlesen, wie und warum der Übergang des Protestfokus von der illiberalen und vorbürgerlichen Rassensegregation im Süden zur Auseinandersetzung mit der amerikanischen Militäraggression in Vietnam gleichzeitig einen »Marxisierungsschub« bedeutete – während die Präsenz von Marxisten im Bürgerrechts- und Redefreiheits-»Movement« den darin tonangebenden Leuten noch »a curiosity if not an embarrassment« war, änderte der Vietnamkrieg die Lage, denn »the movement needed ideas and ways of thinking about America’s aggression in Southeast Asia. And only the Marxists were offering anything of particular relevance«, 198 während die Pazifisten in jenem Krieg nur einen Unfall oder Fehler, die Christen nur eine Sünde erkennen konnten, also lauter Sachen, gegen die sich wenig mehr Forderungen erheben lassen als »bereut« und »kehrt um«, aber an wen? An die Regierung? Ans Militär? An »uns alle«?
     
    Marx und Engels selbst hatten, wie man etwa bei ihrem Exegeten Hal Draper detailliert

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