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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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und das ist im Gegensatz zu dem, was die Skepsis jammert, auch gar nicht schlimm, vorausgesetzt, man vergißt nie, daß man rät, und sammelt weitere Erfahrungen, die das Erratene dann verändern – daß man alles, was man über Geometrie sagen kann, schon weiß, und also das Recht hat, ein Fach »Geometrie« zu nennen, das in Wirklichkeit nur die euklidische Geometrie abdeckt, darf man eben nur so lange glauben, wie noch niemand eine nichteuklidische Geometrie entdeckt hat; und daß die Rationalisten und Sensualisten, die über die Herkunft und Beschaffenheit des Folgerns nachdachten und redeten, dabei Probleme bekamen, die daher rührten, daß sie sich das Folgern noch nach der aristotelischen formalen Logik dachten und außerdem recht wenig übers Gehirn wußten, läßt sich heute nach beiden Seiten verstehen, da wir a) bei den positiven Wissenschaften ein paar Informationen (= Erfahrungen, Daten) über die Neurobiologie einholen können und b) außer der formalen Logistik noch die Hegelsche Logik, außer der zweiwertigen noch die Günthersche und andere Logiken besitzen, aber c), und das ist der interessanteste Umstand, gibt es auch noch ein Grenzgebiet zwischen allgemein begriffsbildendem und konkret einzelwissenschaftlichem (z.B. informatischem) Nachdenken übers Schließen, in dem sich gerade abzeichnet, daß eine Aufklärung, die außer der Logik der Alten, dem bißchen medizinischen Wissen der Zeit und der damaligen Auffassung davon, was eine exakte positive Wissenschaft überhaupt sei, dazu verurteilt war, in ein paar Sackgassen zu rennen – daß man in den Naturwissenschaften außer »Das ist so/das kommt so« oder »Das ist nicht so/das wird nichts« auch sagen kann: »Das verhält sich mit siebzigprozentiger Wahrscheinlichkeit so, wird also in sieben von zehn Fällen so kommen«, hat im achtzehnten Jahrhundert, auf dem Höhepunkt der Aufklärung also, die da längst schon ihre Vernunftbestimmungen so schlecht und recht gebrauchte, wie es eben ging, der unsterbliche Thomas Bayes gerade erst auszuloten begonnen; und die lange Zeit als Leitwissenschaft aller ernstgemeinten Positivismen geltende Physik hat im neunzehnten, endgültig dann im zwanzigsten Jahrhundert erst eingeholt, was da dem Hantieren mit Gesetzlichkeiten längst implizit gewesen war – fragten Rationalisten und Sensualisten also danach, wie wir richtige Schlüsse ziehen, und operierten dabei mit einem »wir«, das noch sehr wenig über sein Hirn ahnte, und einem »Schlüsse ziehen«, das sich noch nicht vorstellen konnte, daß das nicht geschieht wie im Syllogismus bei Aristoteles, sondern auf eine Art, für deren zutreffende Beschreibung man wahrscheinlich eine Theorie braucht, die ein integriertes Bild einerseits traditioneller (und noch unbekannter, etwa in der Quantentheorie erlernter) Logik, neural networks, probabilistischer und weiterer Sorten von ebenfalls unbekannten Folgerungsweisen entwirft, eine Theorie, die sich in unserem einundzwanzigsten Jahrhundert eben erst abzeichnet, so steht man einmal mehr vor dem Bootstrap-Implex, den wir in diesem Buch zuallererst an der Naturrechtslehre aufgewiesen haben: Um etwas denken oder machen zu können, muß das Menschengeschlecht häufig so tun, als sei es schon gedacht oder gemacht worden, um dann über trial and error der Sache allmählich Gestalt zu geben. Kein Grund, die ersten Stufen wegzuschmeißen: Sie enthalten Auskünfte über die nächsten.
     
    Sensualisten und Rationalisten, zwei Seiten einer solchen ersten Stufe, diesmal des neuzeitlich vernünftigen Nachdenkens übers Vernünftige selbst, stimmten, wir deuteten es schon an, in einem wichtigen Punkt überein: Der Strom kommt für beide aus der Steckdose – darüber, daß die Vorfindlichkeit und Zuhandenheit des Materials fürs Denken in Begriffen »naturgemäß«, »natürlich« et cetera war, darüber ließen weder die einen noch die anderen mit sich reden; die tatsächliche Herkunft gerade des Materials, über das sie selbst nachdachten, mit dem sie selbst ihr Denken operationalisierten, aus der Geschichte statt der überzeitlichen Natur wurde nicht gesehen, hätte es doch das Augenmerk auf einen Umstand gelenkt, der sozusagen debattenlatenzbedürftig, gleichsam den ihn zum Verschwinden bringenden Diskursregeln der lumières schutzbefohlen war: Wer mitten im kräftigsten Absolutismus eine Philosophie wollte, wie sie die athenisch-ionischen Griechen oder die republikanisch-cäsarischen Römer hatten, wer Kunst und

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