Der Implex
Motiven da suchten, wo Motive allenfalls vermittelt, angeschaut und gegeneinander abgewogen werden können, im Denken nämlich, und daß sie falsches Wirtschaften oder Regieren loswerden wollten, indem sie falsche Lehren darüber richtigstellten, was nicht etwa der Anfang irgendeiner Praxis, sondern schon der ganze Trick sein sollte, und gegen die Gefahr, daß Marx und Engels selbst als Philosophen gelten mochten in dem Sinn, daß es ihnen um ein neues Arrangement von Begriffsnetzen ging statt um eine neue Art zu leben, mußten sie polemische und programmatische firewalls von hinreichender Dichte einziehen. Aber die Übergänge dessen, was in den Bibliotheken Philosophie heißen darf, zur von den Dioskuren geschätzten Wissenschaft sind nicht nur phylogenetisch fließend, wie jeder Blick auf die Naturphilosophie der Renaissance oder das noch in heutigen, streng neodarwinistischen und anti-obskurantistischen Lehrbüchern der Evolutionsbiologie angedeutete bis (bei Ulrich Kutschera) ausgesprochene Herkommen der modernen Biologie aus der romantischen Naturphilosophie des neunzehnten Jahrhunderts zeigt, sondern auch ontogenetisch bei den Neugierwegen zahlreicher erstklassiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu beobachten (wobei hier freilich philosophische Halbbildung oft die Wissenschaft ärger verhunzt als philosophische Unbildung; die philosophisch herausforderndsten Ergebnisse der jüngeren Naturwissenschaften wurden mitunter von Leuten erbracht, denen dabei nicht bewußt war, daß das, was sie trieben, philosophische Relevanz besaß, und jedenfalls – anders als etwa Bohr oder Heisenberg oder Gould – nicht viel Wesens davon machten; wir denken an Leute wie Gregor Mendel, Paul Dirac, Walter Kohn); und die Nachbarschaft zur Kunst ist von der Kunst selbst und namentlich der Literatur, gegeben nicht zuletzt durch das proprium des Spekulativen, das wir im achten Kapitel dargestellt haben, seit dem achtzehnten Jahrhundert, gründlicher erkundet und bekräftigt worden als von der Philosophie her – während wir dieses Kapitel ausarbeiten, im Januar 2011, ist die englischsprachige Literaturkritik nicht nur aus Anlaß der im Dezember 2010 erfolgten mass-market- Veröffentlichung der undergraduate thesis des jüngstverstorbenen Romanciers David Foster Wallace Fate, Time, and Language wieder einmal in eine Debatte über Möglichkeit und Unmöglichkeit der philosophical novel eingestiegen und delektiert sich sicher nicht zum letzten Mal an Paradoxa wie der Behauptung der berühmtesten Verfasserin von philosophical novels im zwanzigsten Jahrhundert, Iris Murdoch, Philosophieren und Romaneschreiben seien geradezu entgegengesetzte (aber in diesem Vergleich auch schon wieder aufeinander bezogene) Bemühungen. Die Philosophie wird es überleben.
Glauben wir ihr nichts; aber untersuchen wir sie mit den Mitteln, die wir in diesem Buch entwickelt haben, noch einmal, Marx und Engels darin nicht untreu, als wirkliche, in spezifischen geschichtlichen Zusammenhängen vorkommende Praxis, dann mag sich zeigen, ob sie etwas mit dem sozialen Fortschritt zu tun hat, der unser Thema ist, und wenn ja, was, wie, wieso, wo und wann.
II.
Vom Probehandeln Einzelner (und vom Handeln aller)
Philosophie ist, meinen wir, einer der drei interessantesten Fälle dessen, was die philosophes , also Protagonisten der Aufklärung, bevor sie als politische Bewegung kenntlich wurde, unter Öffentlichkeit verstanden (die anderen beiden sind die Wissenschaft und die Kunst). »Öffentlichkeit«, das war die Vorstellung der sozialen Verallgemeinerung individueller Gedankenfreiheit. »Gedankenfreiheit«, das bedeutete die Abwesenheit von Zwang (das heißt Einflußnahme priesterlicher, staatlicher und allgemein: nicht auf Übereinkunft beruhender Art) beim Denken und Debattieren. »Sozial«, das war ebenfalls etwas Neues und bedeutete: auf die Gesellschaft als kollektive, vertragsförmige Sicherung der individuellen Freiheit und Wohlfahrt aller Einzelnen bezogen (Diderot in der Enzyklopädie: Das Wort »sozial« »wurde vor kurzem in die Sprache eingeführt, um die Eigenschaften, die einen Menschen in der Gesellschaft nützlich und für den Umgang mit anderen Menschen geeignet machen«, zu bezeichnen.) 216
Die Prüfung der einmal veröffentlichten Gedanken durch die Öffentlichkeit sollte immer wieder, wir erinnern ans siebte Kapitel, zu Beschlüssen des Gemeinwesens darüber führen, welche dieser Gedanken wahr seien, auf welche man sich also
Weitere Kostenlose Bücher