Der Implex
bevor man sie erlangt hatte. Ob David Ross in der Ethik den Konsequentialismus (eine Handlung ist so gut wie ihre Folgen) zurückweist und durch einen quasibegriffsrealistischen Normativismus ersetzen will, ob Gilbert Ryle geistige Inhalte als Handlungsdispositionen beschreibt, ob Paul Grice das Problem des Vorhersagecharakters wahrer Propositionen, sich damit in entscheidender Weise von seiner rein bedeutungsperspektivischen Analyse entfernend, als eines der Implikatur faßt (wenn ich von einer Situation sage, sie enthalte nicht die Möglichkeit, daß als nächstes X passiert, dann sieht das nur wie eine Prophezeiung aus, ist in Wahrheit aber eine Beschreibung der Situation unterm Zeichen des Versuches, den Laplaceschen Weltautomaten zu umgehen und das unerbittliche Humesche Gesetz nicht zu verletzen), ob Wilfrid Sellars festhält, daß es zwei verschiedene Sorten logischer Folgeräume gibt, nämlich erstens den der Ursachen und Wirkungen, zweitens den der Schlüsse und Begründungen, ob John McDowell diese Feststellung Sellars »erklärt«, indem er den alten cartesischen Dualismus ein paar dialektische Schraubendrehungen höher im Sinne des Sellarsschen wiederbelebt, ob David Stove die Trennung dieser beiden Räume mit verfeinerten Argumenten gegen überhaupt jede Art von Dualismus als Materialist zurückweist oder Richard Rorty den Dualismus seinerseits angreift, aber als Komplettnegationist, der keine verschiedenen Erkenntnistatsachen haben will, weil er überhaupt nicht an Erkenntnistatsachen glaubt; ob Donald Davidson mit seinem »anomalen Monismus« der Leib-Seele-Problematik zu Leibe (und auf die Seele) rückt; ob Rorty die kontinentale, von der Linguistik befruchtete Philosophie und am besten gleich auch noch den Nachlaß Heideggers mit der analytischen Tradition unterm Siegel des » linguistic turn « zusammenführen will oder seine Gegner ihn auf Handlungstheoretisches festnageln wollen; ob Quine die Unbestimmtheit des Übersetzens und Interpretierens theoretisch völlig anders begründet als beispielsweise Derrida und dann in Davidson einen Fortsetzer findet, der gerade an dieser Unbestimmtheit die Wohlbestimmtheit und Gültigkeit einiger von ihr ausgeschlossener Dinge aufweisen kann (nämlich in dem Sinn, daß die der Skepsis unterworfenen Beziehungen immer auch die Grenzen der Unwissenheit zeigen, so wie bei Luhmann Logik das ist, was erlaubt, Widersprüche zu identifizieren): Dies alles ist getragen von etwas, das man mit dem deutschen Titel einer großen Abhandlung Stanley Cavells den »Anspruch der Vernunft« nennen kann, was eine seltsame grammatische Form in Stellung bringt, die man von Marx her kennen kann (Kritik der Waffen, Waffe der Kritik): Die Vernunft selbst hat in dieser Formulierung erstens einen Anspruch, ist aber auch einer; das Begriffszerlegende und Begriffsbeziehungen Herstellende wird seiner Normativität inne. Der vorläufige Gipfelpunkt der ganzen an ein paar Namen und Stationen illustrierten Entwicklung einer als Forschungsprogramm operationalisierten Entfaltung besagten Anspruchs ist wohl wirklich, ganz nach dem Wunsch seines kühnen Schöpfers, Robert Brandoms Inferentialismus, welcher lehrt, Behauptungen legten immer auf Voraussetzungen und Folgerungen fest – schöner kann man den Ursprung der Philosophie in der Arbeitsteilung nicht einkleiden (wohlgemerkt: nicht verkleiden; er ist hier ja sichtbar als das, was er ist, den Konturen wird sozusagen geschmeichelt, Brandom enthüllt mit Bedacht mehr, als er davon verbirgt).
Brandoms Geschichte, deren Plan und Draufsicht das Buch Expressive Vernunft von 1998 darstellt, schreibt sich, fast schon klassizistisch, zunächst von Frege her, der die Kraft der formalen Logik dazu benutzen wollte, die Mathematik und das Denken auf dem Weg zu ihren vermuteten Grundlagen auf sich selbst zurückzuführen. Aus Freges Programm und dem mit seinem Alterswerk zeitlich koinzidierenden metawissenschaftlichen Spekulieren des Wiener Kreises fand der Gedanke der Begriffsgrundlegung dann, wie oben bereits rekapituliert, ins Werk von Engländern wie Russell und Whitehead, die zusammen mit dem nach England emigrierten Wittgenstein die eigentliche analytische Schule auf den Weg brachten.
Manche, nicht nur Rortys Leute, lesen die Entstehung der Analysis als wichtigsten Ausdruck der linguistischen Wende in der Philosophie des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, das heißt der Abkehr von der Bewußtseinsphilosophie und Hinwendung zur Sprachphilosophie.
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