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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Die Brücke dahin war die allmählich sich festigende Überzeugung, daß man Denken nur als Sprache untersuchen könne – das hat seine unverbrüchliche Evidenz: Man diskutiere mal einen nichtsprachlichen Gedanken oder stelle ihn sich auch nur vor. Vom späten Wittgenstein der Philosophischen Untersuchungen aus nahm die Bedeutungsforschung der Analysis ihre manchen, nicht nur Rortys Leuten, sehr wichtige »pragmatische Wende«, das heißt, man befaßte sich zusehends mit Sprache als Sprachhandeln. Dieser Abschnitt kulminierte in Willard Van Orman Quines Hauptwerk Word and Object von 1960 und führte schließlich zur Sprechakttheorie; aber Brandom will anderswohin – am besten wird man der Reichweite seines »alt-neuen« Ansatzes wohl gerecht, wenn man zwei in seinem Buch stark hervorgehobene Begriffspaare herausstellt: erstens »inferentielle Semantik« und zweitens »normative Pragmatik«. Mit »inferentieller Semantik« ist gemeint, daß die Bedeutung von Ausdrücken – besonders der als vorbildlich genommenen »assertorischen« (das heißt Behauptungen) – durch die Kette der Schlußfolgerungen über das mit ihnen Implizierte festgeschrieben ist. Sprechen heißt so: angeben und auffassen von Gründen. Hierbei folgt das Sprachhandeln inferentiell ermittelbaren Normen – daher: »normative Pragmatik«. Das darf man allerdings nicht so verstehen, als repräsentierten diese Normen ein Etwas namens »die Sprache«. Die Auffassung, daß es so ein Ding (de Saussures »langue«) gebe, ist in Analytikerkreisen spätestens seit Donald Davidson, auf den Brandom sich ausführlich bezieht, gründlich diskreditiert. Brandoms Normen sind auch keineswegs so etwas wie die (angeborenen) »Tiefenstrukturen« bei Chomsky. Mit Wittgenstein argumentiert Brandom vielmehr, daß, wenn beim Sprechen wirklich apriorische Regeln angewandt würden, aus diesen Regeln aber gleichwohl nicht ersichtlich wäre, wie man sie anwenden soll. Also bräuchte man Meta-Regeln, für die wiederum weitere Meta-Regeln nötig wären und so fort. Das ist offensichtlicher Blödsinn; schon Ryle hat das am verwandten Fall der Intelligenz demonstriert. Aber Brandoms Normen sind auch keine bloße Verbrämung des empirischen Tatbestandes, daß Menschen, wenn sie reden, gewisse Regelmäßigkeiten an den Tag legen. Eine Kapitelüberschrift im hinteren Teil des Buches weist den Weg zum richtigen Verständnis von Brandoms Normbegriff: »We have met the norms, and they are ours.« Wir zitieren das auf englisch, obwohl die deutsche Übersetzung von Making It Explicit größtenteils vorzüglich ist – hier aber ist ihr zwingend eine hübsche Nuance entgangen; Menschen, die Comics lieben, werden den Anklang an ein Zitat aus Walt Kellys »Pogo«-Cartoon erkannt haben: »We have met the enemy, and he is us.«
    Solche Anklänge an Sprachgut aus dem reichen Strom dessen, was Heidegger wegwerfend »das Gerede« nannte, sind nicht bemühte Auflockerung eines andernfalls dröge gelehrten Textes – obwohl Brandoms Baseball-Bezugnahmen ihm einen Platz in der sehr gemischten Gesellschaft von Stephen King, Stephen Jay Gould und Michael Bishop sichern, die aus dieser US-Nationalsportart Argumente oder Wortkunst bezogen haben. Vielmehr unterstreichen sie als Binnen-Illustrationen von einiger inferentieller Verweisfülle selbst die zentrale Idee des Brandomschen Normenbegriffs, wonach Normen der Art, die er meint, in jenem sozialen sprachlichen Prozeß entstehen müssen, der dann auf sie zurückgreift, sie umformt und so weiter. Das heißt: Es gibt weder irgendwo ein Regelbuch, noch sind die Regeln eine Art zufälliger sozialer Durchschnitt – sondern sobald ich mich an einem bestimmten Sprachspiel beteilige, beteilige ich mich auch an der Erschaffung seiner Regeln.
    Wenn man die Wittgensteinsche »Sprachspiel«-Metapher samt »Spielzügen« ernst nimmt und sie – was Brandom tut – um Begriffe wie ein »Punktekonto« erweitert, heißt das auch, von Sanktionen zu reden – »rote Karte« würde man hierzulande wohl sagen. Das hat Konsequenzen für Fragen der Autoritätszuweisung oder -annahme, und die Folgen (etwa für die Wissenschaftstheorie, aber auch für die Kulturtheorie) derartiger theoretischer Annahmen laufen kaum auf eine »Diskursethik« hinaus – freilich auch nicht auf deren Gegenteil, sondern so schlicht wie massiv einfach abermals auf den von Cavell untersuchten »Anspruch der Vernunft«.
     
    Ihm zu entsprechen, als differentia specifica der kurzen analytischen

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