Der Implex
als philosophischer hat, auch der Informatik wegen, zunehmend mehr Freunde, zum Beispiel den Informationsphilosophen Luciano Floridi) eine angewandte: die Technowissenschaft der Begriffe.
IV.
Eine kleine politische Vernunftzeitgeschichte
»Vernunft« ist allerdings, das weiß alle Welt, nicht nur ihrer Bestimmung nach jeweils abhängig davon, was man von den Menschen weiß und erwartet, sondern als Wert auch unterschiedlich gut angesehen, je nachdem, ob ein Kollektiv, das sich Denkerinnen und Denker leisten kann, sich pursuit of happiness und Veränderung der Welt zum Guten zutraut oder nicht. Wenig gilt der bei absteigenden Adligen und ihren Sympathisanten (»Romantik«), viel bei aufsteigenden Bürgerlichen (»Aufklärung«), wieder nicht so gut bei gespaltenen oder geopolitisch abgeschriebenen Europäern (Existenzphilosophie, Kritische Theorie, Strukturalismus und Poststrukturalismus), gut bei weltweit ökonomisch und militärisch agierenden, Weltreiche errichtenden Engländern oder Amerikanern (Analytische Philosophie von Russell bis etwa Rorty). »Vernunftkritik« heißt häufig genug nicht viel mehr als: zweifeln, ob man etwas ausrichten kann; Ohnmachtsdenken (das, man soll es nicht gering achten, beträchtliche Schönheiten und sonst selten gesehene Wahrheiten freisetzen kann).
Die Geschicke der Vernunft, die im neuzeitlichen Verständnis keine partikulare sein kann, sind damit ein Spezialfall der Geschicke von Universalismen allgemein: Aufsteigende oder eben zur Herrschaft gelangte Klassen, expansionsfähige und -willige oder anders auf Eroberung ausziehende Nationalstaaten, neu entstandene und aussichtsreiche oder gerade zu Staatskirchenrang erhobene Religionen denken immer universalistisch, von den alten Hebräern bis zum britischen Empire, niedergeschlagene, besetzte, kolonialisierte, zerstückelte Kollektive formulieren daran dann partikularistische Kritik (der Faschismus will die ganze Welt neu einrichten, wenn er an der Macht ist; in der Defensive wird er dann zum Ethnopluralismus; Benoîst ist ein Rosenberg ohne nationalsozialistische Imprimatur).
Fordern und üben die Bedrückten, Ausgegrenzten, Isolierten »Toleranz«, was mitunter vorkommt, dann ist bei ihrem Partikularismus selbst bereits wieder eine Beimengung universalistischen Denkens (und Vernunft sensu Voltaire) zu finden; als Folie nämlich für Partikularismen, vor der allein sie denkbar sind.
Daß zwischen den tatsächlichen Schicksalen der betreffenden Kollektive und dem, was in ihnen gedacht und geredet wird, keine einfach synchrone Komplementarität waltet, daß alte funktionslos gewordene Formen sich erhalten, neue auftreten können, wo sie noch nichts nützen, hat die marxistische Tradition mit Formeln wie der vom »Nachhinken des Überbaus hinter der Basis« theoretisiert, umgekehrt kann mancher »Überbau« vom Gegenwind der Epoche abgetragen werden, obwohl in den Verkehrsverhältnissen des jeweiligen Kollektivs seine Basis noch besteht. Überbauten entwickeln manchmal eine hohe adaptive Komplexität und können das Einbrechen ihrer Basis sehr lange überleben (das Christentum blickt, von der Höhe der Gegenwart, gelassen auf Liberalismus, Feudalismus, Sklavenhalterei zurück und wird wohl nicht nächste Woche verschwinden; Demographie und Hedonismus hin oder her).
Es könnte lohnend sein, die von uns hier nur skizzierte Rolle der analytischen (und in mancher Hinsicht auch noch der postanalytischen) Philosophie als Platzhalterin der zerbröselten Aufklärungsvernunft in Abhängigkeit von der Rolle des britischen Empire und der USA als Platzhalterinnen der alteuropäischen Menschheitsidee zu betrachten, etwas davon hat sich noch in den jeweiligen Niedergangszeiten gehalten; was Moore und Russell im Rekurs auf Frege entwickelten, lebte von Früchten philosophischer Kleinstaaterei, die einigermaßen kleinteilig unternommene Selbstkorrektur der kontinentaleuropäischen Aufklärung war sozusagen für die imperialen Köpfe der Zukunft vorbereitet worden und wurde dort weiter ausgearbeitet bis hin zum Wiener Kreis, in dessen Wirkungsbereich etwa die Kritik des enzyklopädischen Geschlossenheitsideals als philosophisches Großforschungsziel, die wir im ersten Kapitel kurz zusammengefaßt haben, bereits voll entwickelt war, nämlich auf der neopositivistischen Linken, bei Otto Neurath 1936:
»Das Bestreben, ein System von absoluter Geltung erstellen zu wollen, ist eine Gefahr, die auch den logischen Empirismus bedroht. Daraus, daß
Weitere Kostenlose Bücher