Der Implex
Philosophie-Überlieferung im von ihr selbst immer wieder betonten Gegensatz zur kontinentaleuropäischen, in welcher die Vernunft, wie wir gesehen haben, seit spätestens dem Aufkommen des Imperialismus immer wieder sehr mißtrauisch angeschaut wird, in zig Spielarten – die vier für uns wichtigsten wollen wir noch einmal gerafft paradieren lassen:
1. Heideggers Vorwurf, die Wissenschaften, die das Templat der klassisch bürgerlichen Vernunftauffassung stellen, denken nicht, ist ja von Gadamer zu einem ehernen Gegensatz zwischen hie empirisch-rational-wissenschaftlichen, da hermeneutischen Verstandesanstrengungen ausgebaut worden, davon zehren die einfältigeren Zweige der humanities wie der science studies bis heute, während den beweglicheren Köpfen in beiden Bereichen aufgegangen ist, daß diese Differenz auch nicht haltbarer und reiner ist als die zwischen analytischen und synthetischen Wahrheiten, weil Naturwissenschaften ab einem gewissen Alter, einer gewissen Menge bereits erarbeiteter Theorien selbstverständlich jede Menge hermeneutischer Züge aufweisen; auch hier wird allerwege interpretiert, und spätestens mit der Quantenmechanik hat sich sogar der Begriff der Interpretation höchstselbst in den präzisen Einzelwissenschaften eigene Rechte erstritten, die sich neben denen älterer Einrichtungen wie Theorie, Vorhersage oder Modell nicht zu verstecken brauchen; umgekehrt verlangen auch die oft für exklusiv hermeneutisch ausgegebenen Humanwissenschaften jede Menge Indiktivismus; das, was da gewisse Texte zueinander in Beziehung setzt oder irrtümliche Beziehungen aufzulösen bemüht ist, kann nichts anderes sein als Weltwissen, inklusive gewisser akademischer Gepflogenheiten, also stark empirisch unterfüttert, wenn auch selten, wie bei Pierre Bourdieu und vielen Wissenssoziologen, expliziert.
2. Die Kritische Theorie, die ihr Komplementärwirtschaften mit soziologisch-einzelwissenschaftlichen Methoden zu einem Zeitpunkt bedroht sieht, da der in den Sozialwissenschaften organisierte Flügel des Positivismus in diesen Disziplinen zur Hegemonie strebt, wird im »Positivismusstreit« zum Abwehrapparat gegen die »Instrumentelle Vernunft«. Wir haben dazu schon einiges gesagt, hier darum nur ein Zen-Koan: Wer, anstatt bestimmte Zwecke und bestimmte Mittel zu kritisieren, die Zweckhaftigkeit des Vernunftdenkens an sich aufs Korn nimmt, verhält sich wie ein Inspektor, der eine Pistole verhaftet und einen Mörder zu den Beweismitteln sperrt.
3. Der strukturalisierte Marxismus Althussers untersucht schlechthin jedes Denken und Reden als klassengebundenes und verrennt sich dabei in Idiotien wie die, suggestiv nahezulegen, es sage irgend etwas über die Wahrheit eines Satzes oder einer Satzfolge, daß sie mit einem Interesse korreliert ist. Dahinter steckt eine Art negative Wendung der Husserlschen epoché und der Kantischen Interesselosigkeit; sobald beides nicht zu haben ist, soll das, was man mit beidem hatte retten, validieren, schützen, säubern wollen, in seinem Bestand angegriffen worden sein, als hieße die Feststellung, daß es irgendein X nur innerhalb gewisser (sozialer, logischer, semantischer) Strukturen gibt, dasselbe wie die Feststellung, daß es dieses X überhaupt nicht gibt. Man hat da einen seltsamen, von uns in diesem Buch bereits mehrfach in seinen verschiedenen Erscheinungsformen kritisierten Maximalismus zu gewärtigen, das schlechte Erbe der schlechten Konkurrenz der Aufklärung mit dem Offenbarungsglauben – immer soll die Vernunft entweder ohnmächtig sein oder irgend etwas können, das über und außer allen irdischen Dingen und Grenzen liegt. Die schlichte Feststellung »Wir haben nichts Besseres, laßt es uns verbessern« scheint unter der Würde all dieser berufsmäßig Denkenden zu sein. So findet man die von uns geteilte Position aller Leute, die sich auf flexible, aber gleichwohl im Rahmen eines explizit ausgesprochenen Geltungsbereichs bis auf ebenso expliziten Widerruf (siehe Grice, oben) verbindliche Maßgaben verlassen wollen, im ewigen Streit mit Leuten, die, weil alles Vernünftige nun mal Lücken und Brüche aufweist, gleich das jeweilige Kategoriengeflecht in toto madig machen und anschwärzen wollen (zur konsequenten Forderung nach seiner ersatzlosen Abschaffung fehlt ihnen der Mut, der aufrichtige, nämlich sich explizit zu ihrer Vernunftfeindschaft bekennende Vernunftfeinde von Augustinus bis zu den Esoterikern der New-Age-Bewegung beim Sprung ins Nichts
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