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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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immerhin auszeichnet). Ob Lenin sich mit den Empiriokritizisten zankt, weil sie aus der Möglichkeit des Irrtums beim Erkenntnisprozeß die Unerkennbarkeit der Welt herleiten wollen; ob Georg Lukács die Lebensphilosophie des Ludwig Klages angreift, weil jener die deutsche Unterscheidung zwischen Geist und Seele gegen Sinn und Verstand wendet; ob Kurt Gossweiler den Sozialrevisionismus zurückweist oder James Heartfield das Wegdiskutieren des Subjekts aus der Philosophie kritisch kontert und kontextualisiert; ob Donald Davidson den Begriff der Wahrheit gegen Richard Rortys hartnäckige Demontageversuche aufrechterhält, John Searle wider Jacques Derrida darauf besteht, daß es einen Unterschied zwischen ernstgemeinten und indirekten Sprechweisen gibt oder David Stove mit Paul Feyerabend ins Gericht geht, weil jener die Naturgesetze insgesamt verschrotten will – immer finden wir dieselbe schöne, unverwüstliche Judo-Übung, die sich in Fragen der Art fassen läßt: Wie wollt ihr denn eure Pluralität, Mehrdeutigkeit und Offenheit herstellen, wenn nicht unter Verweis auf (vielleicht veränderliche, aber unverlierbare) Universalien, vor deren Hintergrund erst das Spiel der Partikularitäten erkennbar wird? Wie wollt ihr von Varianten reden, wenn nicht in Relation zu Invarianten, die das Variantenspektrum überhaupt erst öffnen? Wie soll denn das Reich der Freiheit Gestalt annehmen, wenn nicht in Abhebung vom Reich der Notwendigkeit? Wie wollt ihr denn irgend etwas, und sei es die Vernunft, kritisieren, wenn nicht eben mittels der Vernunft? Wie will man denn die Maßlosigkeit und Singularität des Glücks erfahren, wenn nicht als Ausnahme von Maßgeblichem?
     
    4. Wo Althusser und die seinen Geltungsanspruch und Wahrheitswert von Sätzen in Klassenstandpunkte, Diskursformationen, Funktionen ideologischer Staatsapparate auflöst, geht der Poststrukturalismus noch einen Schritt weiter und löst nun seinerseits auch noch jene Standpunkte, Formationen et cetera in allerlei Unnennbarkeiten auf (die Übergänge sind fließend; Althusser ließ vom Marxismus, bei dem er angefangen hatte, am Ende auch nur noch das gelten, was er daran zuvor ohnehin verändert hatte), die dann in (durchaus erkenntnisförderlichen, nicht verdienstlosen – wir verweisen auf die Kapitel zwei, drei und vier dieses Buches) Repolitisierungsschritten sozial konkret als Konstruktionen von Rassen, Klassen, Geschlechtern identifiziert werden, die man nicht akzeptieren, aber auch nicht ignorieren soll (Gayatri Chakravorty hat für diese Spannung der kritischen, emanzipatorischen, progressiven Seite des Poststrukturalismus die schöne Wendung gefunden, es handele sich dabei um die »hartnäckige Kritik dessen, was man nicht nicht wollen kann«, ein Satz, der jedenfalls von den klügeren Zügen dessen, was einmal dialektischer Materialismus geheißen hat, nicht allzu verschieden ist). Während die Strukturalisten sagen, die Vernunft könne das, was sie ihrer eigenen Bestimmung nach leisten müßte, gar nicht leisten, weil sie sich dafür über Strukturen erheben müßte, mit denen sie in Wirklichkeit stets zusammenfällt, wo es sie überhaupt gibt, greift der Poststrukturalismus von der anderen Seite an und erklärt, Strukturen, auf welche die Vernunft ihrer eigenen Bestimmung nach angewiesen sei, ließen sich wegen allerlei unhintergehbarer Unterbestimmtheiten, Referenzaporien und so fort gar nicht sauber einrichten. Der letztlich rein eristische Dreh, der beide Angriffe ermöglicht, ist die Eskamotierung des historischen Aspekts aus der Problemstellung. Die Flügel keiner einzigen Tierart sind so perfekt, wie man welche am Computer, also in CAD/CAM-Verfahren entwerfen könnte, aber fliegen kann man damit trotzdem (und, ja, der Poststrukturalismus hat recht: »perfekt« sind auch die per CAD/CAM geschaffenen nicht, weil das Wort etwas bezeichnet, was es nicht gibt). Die Falle, in welche der Strukturalismus tapst und die mit ihm zu betreten er uns auffordert, ist die der Überlegung: Flügel können sich nur aus anderen, nichtflugfähigen Gliedmaßen entwickelt haben oder entwickeln, aber das Nichtflugfähige ist doch nicht flugfähig, also wie soll das je gehen? (Was adaptive Komplexität ist, Aggregation, Mikromutation, schließlich Umschlag von Quantität in Qualität, kann der Strukturalismus nicht denken.) Die Falle, in der sich der Poststrukturalismus wohlfühlt, funktioniert dagegen analog der Idee: Da kein Vogel jemals den bestmöglichen cw-Wert

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