Der Implex
auf großen Leinwänden ein paar Filme zu sehen, über die Kopfhörer für den Ton dazu konnte man sich ein fixes Programm von Konservenmusik anhören, heute gehen auf kleinste Speicher Riesenmengen an Filmdateien, wenn man also, wie das bei vielen Fluglinien inzwischen der Fall ist, in die Rückseite der Lehne einen kleinen Bildschirm baut und dann ein Menü hat, das den Zugriff auf einen Rechner mit dort abgelegten Filmen erlaubt, kann man sich, wenn man nichts zu lesen dabeihat (das können, dank e-books, inzwischen auch ganze Bibliotheken sein), die Langeweilevertreiberei so zusammenstellen, daß keine zwei Personen im selben Flugzeug dieselben Sachen in derselben Reihenfolge sehen müssen. Voilà, Individualisierung – soweit kommt Kelly. Marx hat nicht viel hinzuzufügen, anekdotisch: Schön für die Überflieger, aber was machen die Leute am Boden? Die Differenz ist nicht groß, aber sie ist eine ums Ganze.
Wer wirklich neue, freiere Gesellschaften will, wird sie nicht übersehen, sondern verstehen, daß der »Wille«, den Hayek Kollektiven abspricht, den aber die apostolischen Mundstücke des neuen Netzevangeliums der »Technology« zusprechen, tatsächlich in allerlei Automatiken gerutscht ist, am tiefsten in die Warenproduktion – nicht diese aber, so der politische Ansatz, den wir wünschenswert finden, hat der Informationskoordination vorzuschreiben, wie sie sich unter Computernetzwerkvorgaben zu realisieren hat, sondern politische Foren sollten unter Verweis auf diese Vorgaben und ihre Freiheitsgrade darangehen, die Güterproduktion, Verteilung, das Verkehrswesen so umzuarbeiten, daß die Koordinations-, also Zeit-, also Produktivitätsgewinne der Vernetzung in zwar allgemeinem, aber statt abstraktem (man erinnere sich an die irre chinesische Jagd nach immer höheren BIP-Kennziffern) diesmal konkretem Reichtum (Versicherungswesen, Gesundheit, Transport, Forschung, Lehre …) realisiert werden.
Die Relationen der Individuen, die an diesem Reichtum teilhätten, wenn sich die Tür mit dem Jonbar-Scharnier »Netzgesellschaft« öffnen ließe, wären als Relationen erkennbar geworden, statt sich als unverrückbar dinghafte, fetischisierte Tatsachen (»Geldverdienen muß sein«) mißzuverstehen, die ein Eigenleben haben, das sich über die Menschen zur sie beherrschenden Macht aufschwingt, bis diese, nach Marxens berühmtem, aber viel zu oft zivilisations- und kulturpessimistisch mißinterpretiertem Bild, nur mehr Anhängsel der Maschinen sind, mit der sie produzieren (auch hier allerdings ist »der Mensch« die übliche kulturkritische Schablone; es macht schon einen Unterschied, wem die Maschine gehört). Wird dieser Zustand aufgehoben, so wird auch das Wissen, das Hayek wie ein Ding behandelt, das man haben oder nicht haben kann, als eine Relation von Praxis und Praxis erkennbar – daß Information nicht gleich Information ist, sieht man schon jetzt nirgends deutlicher als bei der berühmten »Unzuverlässigkeit« von aus dem Netz geholten Informationen: Wo Wissen in Form von Klatsch und Meinung den Ohnmächtigen geschenkt wird, um sie zu unterhalten, in ihrer Trägheit zu unterstützen oder ähnliches, ändert es sich tatsächlich über Nacht oder tritt in tausendfach widersprüchlicher Gestalt in Erscheinung, steht aber einmal etwas im Netz, das für irgend etwas gebraucht wird, was Leute tatsächlich tun, womit irgendeine Maschine (das kann auch eine Demonstration in Tunis oder Kairo sein; wir setzen hier immer unsere Maschinendefinition aus dem fünften Kapitel voraus) betrieben wird, so erlebt man oft binnen kürzester Zeit eine Konvergenz der Daten zu einem pragmatisch zielführenden Ergebnis hin. Sachen, von denen etwas abhängt, verhalten sich im Netz selbst unter Desinformationssperrfeuer in der Tat sehr häufig so, wie die Aufklärung sich das vom Wissen unter Bedingungen von Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit gedacht hat; der technische Beweis der Machbarkeit ist erbracht (natürlich gibt es eklatante Ausnahmen; immer entscheiden nicht die Netzbandbreite oder die Pfiffigkeit, sondern wirkliche soziale Kräfteverhältnisse), die Wahrscheinlichkeit ist hoch, daß, je mehr Menschen sich auf je entschiedenere Art und Weise um Produktions- und Wissensdemokratie bemühen, dieser Beweis nur um so evidenter wird. Man kann mit dem, was wir an Kontakt-, Austausch-, Koordinationsmaschinen derzeit besitzen, die Individuen einerseits auf neue, freiheitliche Art und Weise verbinden, andererseits
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