Der Implex
verpflichtet bleibt) so unbeholfen aus wie etwa der Einwand eines Physikers gegen die Praxis privater Banken, bei der Kreditvergabe Geld praktisch aus dem Nichts zu erschaffen, dies verletze aber doch den Energieerhaltungssatz. Die Evidenz der Lächerlichkeit solcher Widerrede ist ihr nicht äußerlich, keine bloße Ungeschicklichkeit, auch nicht logischer Kategorienfehler oder etwas ähnlich Verzeihliches; sie berührt vielmehr den Kernwiderspruch des positivistischen Programms, insofern sie nämlich dem Umstand entstammt, daß die Widerrede sich gleichgültig macht gegen die Besonderheit der wissenschaftlichen Welterschließung als solcher gegenüber anderen Propositionalsystemen: Sie ist für jemanden wie die Banker, die keine Physik treiben und davon möglicherweise auch gar nichts wissen, ununterscheidbar etwa von Vorwürfen wie »Was ihr da macht, widerspricht der Eigentumsökonomik der Professoren Heinsohn und Steiger« oder »Was ihr da macht, widerspricht den Geboten des Koran«. Hätte der Positivismus recht, müßte der Unterschied zwischen dem ersten Vorwurf und den anderen beiden der allesentscheidende sein; warum aber gelingt es dann nicht, eine mit den Normen (sic, K/D) des Positivismus konforme Formulierung des ersten Vorwurfs zu finden, die ihn schon formal von den anderen beiden abhebt? (Die Antwort liegt im Humeschen Gesetz beschlossen, das wir hier nicht noch einmal ausschreiben müssen.)
Normative Untersuchungen scheinen aber nicht nur Positivisten, sondern auch vielen Marxkundigen müßig, weil sie darin Platonismus wittern; Verhalten nach richtig und falsch zu sortieren, bedeutet ja (wie der Wortbestandteil »Norm« im Wort Normativität verrät), es an Regeln zu messen, und daß denen kein ontischer Status zukommt jenseits dessen, was Leute tatsächlich tun, haben wir oft genug bekräftigt und außerdem an Ryles klugen Einwand gegen die Vermutung, daß nicht allein das ethisch oder moralisch, sondern selbst das sachlich richtige Handeln sich auf Regeln zurückführen lasse, immer wieder erinnert. Unser Antiplatonismus und unsere Loyalität gegen Ryles großen Gedanken legt uns somit auf zwei Randbedingungen jeder Erwägung der Angemessenheit oder anderweitigen Richtigkeit von Praxis und Hexis fest:
1. eine naturalistische: Jede Erörterung von Regeln, die sich daran versucht, eine epoché zu setzen, in der diese Regeln sauber abgetrennt sind von empirisch-statistisch-bayesianischer Praxis und Hexis, ist sinnlos. Zwar hat man von Seiten mentalistischer und internalistischer Schulen der Normativitätsanalyse, also bei Leuten, die dem Normativen eine wenn schon nicht platonisch transzendente, so doch eine im Raum der Begründungen und Schlüsse verankerte, handlungsautonome Existenz zuschreiben und dann die Semantik normativen Denkens, Redens, Schreibens unterm Gesichtspunkt dessen erforschen möchten, was Ralph Wedgwood in polemischer, das Konstruierte am Normativen bewußt leugnender und dieses statt dessen ontologisierender Wendung » the nature of Normativity « nennt. Normativität ist dann nichts, was in einem Kontinuum mit Handlungen und Unterlassungen steht, sondern ein Bewertungsschema – der Gedanke hat dies für sich, daß damit die beliebte Ausflucht »Man darf Leute, die unter Hitler bei allen Staatsverbrechen mitgespielt haben, nicht verurteilen, weil man nicht wissen kann, ob man selbst eine bessere Figur gemacht, nämlich anders gehandelt hätte« versperrt ist – wenn nach Wedgwood das Normative nicht darin besteht, Handlungen auf einen Zweck hin zu organisieren und sie den Handelnden selbst aus den Zusammenhängen, in denen sie stehen (»Wie hätte ich unter Hitler gehandelt, was heißt es, unter Hitler zu handeln?«), verständlich zu machen, sondern darin, zu wissen, was niemals geschehen darf (»An staatlichen Massenmorden, wie sie die Nazis begangen haben, beteiligt man sich nicht, aus keinem Grund und unter keinen Umständen«), dann ist there but for the grace of god (or history) go I zwar als Stoßseufzer der Empathie, nicht aber als Argument in der normativen Diskussion zulässig. Der Geltung jeglicher überhaupt vorstellbaren Normativität in der wirklichen Lebenswelt kann das nur nützen; als metaphysisches Absolutum und Rechtfertigung einer unübersteigbaren qualitativen Differenz (etwa: hier Normativität – dort historische Wirklichkeit) aber ist es ein Denkfehler, denn auch Wedgwoods »Bewertungsschema«, dessen angebliches kategoriales Geschiedensein
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