Der Implex
erfolgreichen Arztes, der mit Recht nur für zahlungskräftige Kunden arbeiten will, weil er für seine Arbeit, wie jede und jeder, solange Lohn, Preis, Profit gelten, das Maximum wird herausschlagen wollen. Müssen die libertarians das Netz, das wir meinen – im Gegensatz zu dem, das etwa Kevin Kelly meint –, als Lenins verspäteten Gerichtsvollzieher fürchten? Heißt »Netz«, wenn es als technisches Dispositiv von nichteigentümlicher Wissens- und Mittelökonomie verstanden wird, am Ende also doch nur wieder »collectivism« (Ayn Rand)?
Ein paar Worte zum sich umzingelt wähnenden Individualismus also: Gruppendruck, Nestwärme, Angst davor, daß die Leute durchs schiere Sitzen am Bildschirm schon vereinzeln, Sehnsucht nach dem Muff vormoderner Zustände animiert uns nicht. Es gibt tatsächlich einen sehr grobschlächtigen Netzmißmut, der davon ausgeht, »der Mensch« sei, wenn man ihn nicht in traditionelle Ausbeutungs- und Hierarchiebeziehungen holt (»Bindung« heißt das Zauberwort), ein gehässiges Würstchen, gegen andere kalt und gleichgültig, weshalb der tiefere Sinn von Familie, Schule, Kirche, Militär und Beruf vor allem darin bestehe (pessimistische Lesart: einst bestanden habe, als es diese wunderbaren Dinge noch gab), den Egoismus abzutöten und das Würstchen auf eine ethisch höhere Stufe der Verbundenheit mit Hinz und Kunz zu heben.
Dieses Menschenbild stellt die historisch stattgehabten Verhältnisse und Entwicklungen vollständig auf den Kopf. Was immer nämlich »der Mensch« roh und unbearbeitet als solcher je gewesen sein mag, eins war er vor dem Kapitalismus kaum je: ein Individuum im Sinne des Liberalismus, den wir an dieser Stelle sehr hochschätzen, weil sein Individuumsbegriff nicht etwa ein Geschöpf meint, das sich von anderen nur durch Interessengegensätze unter der Mangelfuchtel abhebt, wo man sich um Futterplätze und Fortpflanzungsquoten kloppt, sondern ein eigenes Gesicht, einen geistigen Anspruch, Ansichten über Gott und die Welt, moralische Grundsätze, einen Schönheitssinn, einen Geschmack, ein Wesen, das seine Zuneigungen und Antipathien pflegt, das sich ausdrücken mag und verwirklichen, kurz, die klassische Romanheldin, der klassische Romanheld des bürgerlichen neunzehnten Jahrhunderts.
Weit davon entfernt, diese Geschöpfe abschaffen zu wollen, waren Marx und Engels vielmehr ganz wild darauf, die sie auszeichnenden Qualitäten zu verallgemeinern – es sollten einfach so viele Menschen wie möglich so frei sein, wie es der Stand der Produktivkräfte überhaupt gestattete, das Reich der Notwendigkeit, der Plackerei, der Arbeit, sollte auf ein existenznotwendiges, von Maschinerie gedrücktes Minimum gerückt werden zugunsten des Reichs der Freiheit, des Forschens, Spielens und Experimentierens, der Kunst und so fort, man lese nur einmal die Stelle im »Bürgerkrieg in Frankreich« von Marx, wo er dem Kapital vorwirft, daß es ja eben nicht nur, wie seine Propaganda sagt, Eigentum bilde, sondern auch in größtem Maßstab enteignet, nämlich die Kleinbesitzer, die es aus dem Geschäft drängt, wenn es anfängt, sich zu konzentrieren, daß also der Reichtum unterm Kapital eben gerade nicht automatisch breit gestreut ist, daß es Privateigentum im strengen Sinne für viel zu wenige gibt, daß die Tauschwertwirtschaft, wenn sie über einen privat angeeigneten Profit läuft, große Mengen von Menschen gerade von den Gebrauchswerten abschneidet, daß sie das Menü für die Mehrheit künstlich klein hält.
Hat man diesen Gedanken verstanden – die einzige Kapitalismuskritik, auf die wir einen Cent geben, im Gegensatz zu vielen anderen Formen der Unzufriedenheit mit der Moderne, die sich irgendeinen Dschungel zurückwünscht, eine romantisierte Indianerwelt, einen brutalen Urkommunismus, eine misanthropische Pol-Pot-Katastrophe oder Hippiekommunen –, dann ist einem auch der Zusammenhang gegenwärtig, in den das marxistische Programm von seiner ersten Fassung beim jungen Marx an »die Technik« und »die Freiheit« stellt; einen nämlich, den von Kellys »good possibilities« nur die größere Sorgfalt bei der Einordnung der Produktivkräfte in die Produktionsverhältnisse unterscheidet. Anekdotisch gesprochen, kann man sagen: Kelly sieht, daß man sich heute, weil die Computertechnik weiter ist als in den späten Achtzigern, anders als damals auf Interkontinentalreisen nach eigenem Geschmack aussuchen kann, wovon man sich zerstreuen läßt. Seinerzeit waren
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