Der Implex
Gleichschaltung, Gefolgschaftsherstellung und Sozialformatierung sehr viel schneller, scheinindividualisierter (»customized«) und kurzfristig daher auch wirkungsvoller ins Werk setzen als vor der elektronischen Vernetzung. Besitz, Arbeit, Reichtum: Dies alles sind Arten menschlicher Beziehungen, nicht Sachen. Wenn die Netzära mit sich bringt, daß diese Tatsache endlich vorkommt, daß sie wissenschaftlich, philosophisch und ästhetisch (man unterschätze keine Öffentlichkeitsform: Gramscis wertvollster Impuls für den Marxismus und alle verwandten Emanzipationsbemühungen) zu der Geltung gelangt, die sie ökonomisch, politisch, historisch längst hat, war ihre Implementierung ein sozialer Fortschritt; sonst nicht.
FÜNFZEHN
WICHTIGE NICHTFAKTEN
I.
Menschliche Verhältnisse als Gegenstände moralischer Überlegungen
Wenn wir in diesem Buch von »Verhältnissen« reden, meinen wir, wie jeder einschlägigen Passage leicht zu entlocken ist, ein zeitgebundenes Ineinander von Fakten und Ansichten, Hexis und Praxis, etwas, was Leute miteinander anstellen und wovon sie allzuschnell annehmen, es handele sich um Dingliches, um ein Arrangement von Tatsachen, Sachen, Sachzwängen. Im Kapitalismus bahnt ihnen den Weg dahin (wie der steile begriffliche Anstieg, den Marx seine Leser anfangs im Kapital zu nehmen zwingt, ausführlich darlegt) die Wertform. Daraus ist manchmal abgeleitet worden, daß alles ethisch Verwerfliche am Kapitalismus in diesem Nichtding, das den Weg zur Verdinglichung ebnet und normiert, embryonal bereits enthalten sei, und daß der Versuch, angesichts kapitalistischer Verhältnisse, in allgemeineren philosophischen (Bedürfnisse und Begehren individueller agents des Handelns in relativer Autonomie, Verpflichtungen gegen Gemeinschaften abstrakter und konkreter Art, deontologische Begrenzungen dessen, was uns im Dienst von unpersönlichen wie persönlich autonomen Zwecken an Mitteln zu gebrauchen erlaubt ist, kategorischer Imperativ et cetera) oder wissenschaftlichen (Verwandtenhilfe und andere genetische Dispositionen zu echtem oder scheinbarem Altruismus, behavioristische und andere Lerntheorien, Ökologisches, Systemtheoretisches, Informatisches) Begrifflichkeiten übers Richtige und Falsche am Verhalten der Menschen zu räsonieren, an der spezifischen Wirklichkeit der Wertform und dem Siegel, das sie der bürgerlichen Subjektform aufprägt, jedesmal notwendig zu etwas Tautologischem (und als Anstrengungen, zum Sollen zu gelangen, deshalb zuschanden) werden müssen.
Der Tauschwert frißt den Gebrauchswert, wie sollen Menschen einander da überhaupt noch anständig behandeln; was bleibt, wo ausgebeutet wird, von jeder Idee der Vertragsfreiheit, vom peer-to-peer- Handel unter der Bestimmung pacta sunt servanda bis zum Gesellschaftsvertrag? Wie gut, wie böse kann man schon sein? Manche Leserinnen und Leser von Wolfgang Pohrt, Moishe Postone, Robert Kurz, mitunter auch diese drei Deuter des Dramas selbst, verfallen dabei in Tautologisches, in kapitalismuskritische Fatalismen, die vergessen haben, daß die Menschen ihre Geschichte zwar nicht aus freien Stücken machen, aber doch selbst – sie erliegen dem Charme des Wissens übers Abstrakte am Kapitalverhältnis, dessen Benennung und Beschreibung nur deshalb ein guter Hintergrund für das ist, was an der Aufklärung weitergereicht zu werden verdient, weil die Konkretionen, die es zu beseitigen gälte, jedenfalls durch diese Abstrakte vermittelt, also zwar zweite Natur, (aber eben: zweite, also) nichts Unmittelbares sind. Hält man sich im Callcenter, Online-Newsroom, CAD/CAM-Arbeitsmodul oder sonst einem Gegenwartshamsterrad auf, sieht man aber, daß diese abstrakte Maschine nicht etwa die Fäden zieht, sondern am Entwicklungsstand der von ihr freigesetzten Produktivkräfte vielerorts zerbrochen, zerrissen, mindestens aber zerfranst ist, und von den anonymen Gesetzen, vom Profit, von der Entfremdung et cetera prasseln lauter Trümmerstücke auf die Menschen nieder, wie das eben geschieht, wenn »zyklopische« (Marx) Maschinen ( ceterum censeo: im Sinne unserer Maschinendefinition aus dem fünften Kapitel) zu Bruch gehen.
Normative Untersuchungen scheinen Positivisten seit jeher müßig; ihre eigenen Versuche, den Normenbegriff im Gesetzesbegriff und diesen letztlich im Naturgesetzbegriff verschwinden zu lassen, nehmen sich auf dem Papier oft sauber abgezirkelt, in der Wirklichkeit (oder sagen wir besser: jeder Kasuistik, die irgendeiner Empirie
Weitere Kostenlose Bücher