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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Stern stigmatisiert? Der Vergleich ist in der linksliberalen Tageszeitung nicht direkt, aber suggestiv genug in die Nähe des Antisemitismus gerückt worden 240 , und eine kategorische Antwort verbietet sich schon deshalb, weil sich in dem Vorwurf immerhin ein historisches Bewußtsein davon enthüllt, daß es gerade auf der Linken den Nazivergleich mit verharmlosender Folge (nicht immer auch: in verharmlosender Absicht) durchaus gibt. Zwar ist die Genauigkeit, mit der von derselben Seite einmal gegen den Gebrauch des Wortes »Arbeitslager« in zeitgenössischem Zusammenhang eingewandt worden, auch dieses Wort wecke unzulässige Nazi-Assoziationen, der Sache, die so vertreten sein soll, nicht dienlich, weil das Lager, in dem unter abscheulichen und mörderischen Bedingungen gearbeitet wird, tatsächlich keine Besonderheit der nationalsozialistischen Mordmaschine darstellt (man dürfte ja sonst das, womit Soldaten manchmal fahren, auch nicht mehr »Panzer« nennen, weil es auch bei der Wehrmacht, die Verbrechen begangen hat, so hieß). In denselben Köpfen aber, die sich dafür mögen, daß sie an dieser Stelle wachsam sind, herrscht häufig eine seltsame Sicherheit, der Kontamination mit Antisemitischem oder den deutschen Faschismus Verharmlosendem zuverlässig dadurch entrückt zu sein, daß man regelmäßig die Grünen wählt und auch deren Bombardierung Serbiens unterstützt hat, mittels welcher Hitler in Gestalt der jugoslawischen Regierung ja schließlich ein weiteres Mal besiegt worden sei. Hier ist der Vergleich plötzlich statthaft; zur Not auch bei den Taten Bushs oder Putins, und daß die Deutschen, wenn jene Hitler vergleichbar wären, tatsächlich entlastet würden, weil der Vergleich den Jahrtausendverbrecher verkleinert, stört nicht. Der inkriminierte Satz im Essay aber folgt nicht der historischen Logik »Wir bewerten Handlungen, die stattgefunden haben, indem wir sie an der Elle der Vernichtung der europäischen Juden messen«, sondern der politischen des »Wehret den Anfängen«, er vergleicht nicht Guantanamo mit Dachau, sondern sagt: Liebe Deutsche, ihr sortiert schon wieder auf bürokratischem Wege Leute in solche, die dazugehören, und solche, die es nicht tun. Wenn es aber keine Anfänge gibt, die man mit den Anfängen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik vergleichen kann, wie soll man dann der Möglichkeit wehren, daß aus diesen Anfängen etwas wird, das den Vergleich mit dieser Politik tatsächlich zuläßt? Oder bedeutet »Inkommensurabilität« inzwischen nicht mehr, daß niemals Vergleichbares war und niemals Vergleichbares sein darf, sondern daß niemals Vergleichbares sein kann, egal wer sich wem gegenüber wie fürchterlich verhält? Das wäre der Bankrott des ethischen Schließens und die Reduktion menschlichen Handelns nicht nur auf ein Regelsystem oder irgendwelche phantasierten Naturdeterminanten, sondern auf eine verkappte Theodizee – »Gott wird, da er gerecht ist, dies nie wieder zulassen« –, die umso scheußlicher ist, da ihr auch noch der Gott fehlt.
     
    In diesem Kapitel möchten wir nun über die Feststellung und Bekräftigung dieser Randbedingungen (Naturalismus bei gleichzeitigem Antireduktionismus) hinausgelangen zu einer Auseinandersetzung mit dem, wovon sie Randbedingungen sind, das heißt, wir wollen die Explikation einer weiteren Implexrelation leisten. In groben Zügen ist das diese: Wer naturalistisch feststellt, daß es außerhalb ihrer Anwendungsbereiche (oder in irgendeinem faßlichen Sinn »jenseits« von ihnen) im wirklichen Agieren keine Regeln gibt, hat nicht deshalb recht, weil es sie überhaupt nicht gäbe – es gibt sie, aber eben nur dort; sie müssen herausexpliziert werden und sind im denkenden oder sprachlichen Probehandeln dann so real vorhanden wie in der Choreographie wirklichen Handelns; auch aufgeschriebene oder ausgesprochene, auch nicht mehr oder noch nicht angewandte Regeln existieren, wahren nämlich das Kontinuum zum wirklichen Handeln; sie wären erst inexistent, wenn dieses Kontinuum zerrisse, aber das ist nicht einmal vorstellbar. »Es gibt x nur in y« heißt also wieder einmal nicht »Es gibt x nicht«, denn entgegen dem liquidatorischen Verfahren der Gegenaufklärung, die ständig den rhetorischen Hebel »Vernunft existiert nur in diesen oder jenen geschichtlichen Formen, also gibt es sie nicht, denn nur als überzeitliche und transzendente wäre sie mit ihrem Begriff identisch« ansetzt, bestehen wir darauf, daß

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