Der Implex
die Wissenschaften und andere menschengemachte Freiheitserzeugungsmaschinen weit genug gediehen seien, das Raten, aus dem die Philosophie ihrer Ansicht nach bestand, durchs Wissen und Tun ersetzen zu können. Wissenschaften, Produktionsverhältnisveränderungen, Technik: Sie wollten, daß etwas an die Stelle des Gedachten treten möge, das in etwas anderem als Gedanken verankert war; verblüfft (und, wenn ihr Umgang mit übereifrigen Individuen aus dem eigenen Publikum zu Lebzeiten da ein geeigneter Hinweis ist, verärgert) wären sie wohl gewesen, wenn man ihnen verraten hätte, daß ihr eigenes Lebenswerk vornehmlich darin bestanden haben soll, ein Gedankengebäude zu errichten, das an die Stelle des abzureißenden Alten habe treten müssen, worin dann (was von denen, die dies meinen, nicht immer klar ausgesprochen wird) ein Fortschritt bestehen soll nicht von der Philosophie zu etwas anderem, sondern von vielen falschen Philosophien zu einer endlich richtigen (die man aber nicht mehr so nennen dürfe, weil das ihre Weihe verletzt; den Trick hat bislang niemand glamouröser vorgeführt als Heidegger, der die Philosophie mit vom schlicht benannten, aber ehrgeizig konzipierten »Denken« ablösen lassen wollte, das selbstredend niemand genauer kennen konnte als eben Heidegger). Unter mißbräuchlicher Verwendung der Hegelschen Kippfigur von Engels, Freiheit sei die Einsicht in die Notwendigkeit, wird aus Marx und Engels eine Art Doppelstirner, der die Freiheit in Gestalt richtiger Einsichten ins Geschichtsganze bereits verwirklicht hat (auch das sagt man nicht offen): Wer die blauen Bände oder die MEGA gelesen hat, weiß Bescheid, dann wird’s, wenn die Leute sich nicht gar zu dumm anstellen (»subjektiver Faktor«, »Klassenbewußtsein«), gemacht, und damit hat sich die Sache – so stumpf wird das freilich kaum je vorgebracht; die subtilere, mit Gravitas und Dignität wie mit schweren Schleppen behangene und mit der Rückkehr des akademischen Marxismus im Gefolge jüngerer Zweifel am Marktevangelium hier und da schon wieder von Staub befreite und in Vitrinen herausgeputzte Fassung dieser Lehre, in der Marx den Thron des deutschen Idealismus nicht so sehr zertrümmert als vielmehr nach Hegels Tod und mit dessen geheimem Segen bestiegen hat, macht zum Dreh- und Angelpunkt der richtigen Marxphilosophie das sehr zweischneidige Lob, der Verfasser des Kapitals (die früheren Werke sind in den betreffenden Kreisen weniger wohlgelitten) habe ein System geschaffen, dessen Hauptstärke darin liege, daß es zwar einerseits die ganze Welt im Blick halte, andererseits aber Dinge bewußt übersehe, von denen Leute mit vernebelten Hirnen bislang immer angenommen hätten, sie seien Teil dieser ganzen Welt, obwohl es sie gar nicht gebe – Moralisches zum Beispiel. Tatsächlich besteht der Vorteil einer Lehre über irgend etwas, das tatsächlich existiert, vor anderen über denselben Gegenstand oft nicht in dem, was sie besitzt, sondern dem, was sie entbehrt. Schon der französische Materialismus auf dem Höhepunkt der Aufklärung bestand im wesentlichen aus Nichtgötterglauben, Nichthexenwahn, Nichtgeisterseherei und ähnlichem, also mehr (und völlig legitimerweise: Erkenntnis ist Aufwandsersparnis beim Probehandeln, nicht Datenmassierung) in einem Nichtglauben als in einem spezifischen Wissen. Den Marxismus, sagen die Marxolatristen, die wir meinen, könne man ganz ähnlich wie den Materialismus nicht wissen wie eine Wissenschaft (an Fragen wie derjenigen, ob die Ausbeutungsbeschreibung im Kapital denn zutreffe oder nicht, zeigt dieser Personenkreis bei aller selbst Gutwillige überfordernden Philologieversessenheit ein herzhaftes Desinteresse; »einzelwissenschaftliche« Fragestellungen, zu denen plötzlich welche geschlagen werden, die Marx zum Allerwichtigsten rechnete, führten der dort gängigen Ansicht zufolge nur aufs Glatteis einer blauäugigen Reformwurstelei, die sich noch mit Unsinn aufhalte wie der Enthüllung der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, wo doch die Marxsche Lehre im wesentlichen nicht explikatorisch gemeint sei, sondern – ja, und da, wo jetzt ein Wort wie »Revolution« sich nötig macht, verläßt jenen Personenkreis abermals die sonst in Fußnoten ausgelebte Präzision, es wird chiliastisch, hegelianisch, urdeutsch altfränkisch, und dann for something completely different, vielleicht ein bißchen genealogisch, man kann ja noch mal die Physiokraten durchgehen …).
Gründungsdokument und
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