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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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hatte, das Wissen um dessen Unwiederbringlichkeit allein machte jedoch niemanden zum freien Menschen.
     
    Die Normativistinnen und Deontiker der Epoche sahen keine höheren Güter als Schmerzvermeidung und Lustgewinn, aber mancher Schmerz war sozial auferlegt, manche Lüste blieben verboten – Sidgwick war homosexuell und durfte nicht danach leben; aber nicht allein diese Entsagung erklärt die leise Melancholie, mit der er in seinem Hauptwerk über die Methods of Ethics , das von 1874 bis 1907 große Wirkung entband und sieben Auflagen erlebte, die moderne Lehre vom »reinen universellen Hedonismus« darlegte, nicht deshalb, weil dies zur besten aller möglichen Welten führen müßte, sondern weil ein anderer Dreh- und Angelpunkt moralischer Reflexion aus logischen (und verkappt geschichtlichen) Gründen schlichtweg nicht mehr zu haben schien. Im Bild von der Menschenart, das so entsteht, zählt jedes Individuum als Verrechnungseinheit der kollektiven Lust-Unlust-Bilanz. Niemand bekommt, wie Jeremy Bentham mit deutlich antifeudaler Stoßrichtung feststellte, mehr als eine solche Einheit zugeteilt, aber auch keiner weniger. Um den Verlust an Souveränität, Autonomie und Schönheit, den die besten Verteidiger der ständischen Ordnung als die soziale Konsequenz dieser Auffassung vorhersagten, ästhetisch verschmerzen zu können, mußte ein empfindsamer Charakter wie Sidgwick »den Standpunkt des Universums« einnehmen; der sachliche Parteigänger des maximalen Glücks durfte gerade nicht vom eigenen, egoistischen Standpunkt aus argumentieren. Nicht wenige bürgerliche Köpfe, die übers Glück nachdachten, von Goethe bis Freud, verdanken daher dem Begriff und der Wirklichkeit der »Entsagung« beträchtliche denkerische und moralische fortitude.
    Wie illusionslos Sidgwick mit der Ressource Verzicht haushalten konnte, legt seine von Bart Schultz verfaßte, sehr umfangreiche und für ein derartiges Buch ungewöhnlich nah an den philosophischen Sachen selbst entlangerzählte Biographie Eye of the Universe dar, von der die nicht gerade zu unnötiger Erregung neigende Martha Nussbaum sagte, es sei vielleicht die beste, die je über einen britischen Denker erschienen sei.
     
    Der eigentliche Lebensbericht stellt bei Schultz nur den mehr oder weniger anekdotischen Rahmen; das Eigentliche findet in den mittleren Kapiteln statt, nach Themen geordnet, die hinreichend universalistische Namen wie »Einheit«, »Konsens versus Chaos« oder »Farben« tragen. Wie Schultzens Held sich durch das Bedenken historisch entsprungener Universalien seine bleibende Modernität errungen hat, erfährt man durch Urteile des Lebensbeschreibers wie das recht traurige, Sympathie und Mitgefühl im menschlichen Umgang seien Sidgwick stets lediglich Möglichkeiten gewesen, menschliche Potentialität statt Wirklichkeit des empirischen Menschenlebens. Auf diese Weise blieben bei Sidgwick die alten Probleme lebendig, und neue traten hinzu. Im Grenzbereich des Philosophischen, Psychologischen und Gesellschaftswissenschaftlichen ging Sidgwick so in seinem Hauptwerk jedes Ding, jeden Begriff, jedes beobachtbare oder vorstellbare Verhalten grundsätzlich von so vielen Seiten wie möglich an; dem »empirischen Hedonismus«, der deskriptiven Seite seiner Studien, gesellt er den »deduktiven Hedonismus« hinzu, also den Kalkül, der die Möglichkeitsbedingungen des Benthamschen »größten Glücks« zu formalisieren erlauben soll.
     
    Weil Sidgwick aber, anders als die meisten Moralistinnen und Ethiker heute, genau wußte, daß weder die Empirie noch die Logik noch die Verschränkung beider zu einer Art kritischem Rationalismus des Normativen seinen kuriosen Gegenstand zu erschöpfen geeignet sind, legte er auch noch einen »intuitiven« Zugang zu diesem frei, womit das Augenmerk auf die Plausibilitäten des Zeitbilds vom Menschen selbst gelenkt wurde und jene »Intuition« sich als das entpuppte, was die Kalküle stärker speist als irgendein von Hume, Reid, überhaupt der schottischen Aufklärung angezweifelter bewußter Schluß vom Bekannten aufs noch nicht Bekannte. Anders als Marx, der zeitimmanent (»kapitalistisch«) nur denkt, um die Widersprüche zu finden, oder Dickens, der die sozialen Fragen seiner Zeit von einem virtuellen Außen her anging, nämlich auf dem Standpunkt eines Bewohners des Reiches der Phantasie, in dem Metaphern Intuitionen gebären, statt sich von ihnen arrangieren zu lassen, glaubte Sidgwick, daß man zwar vom abstrakten

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