Der Implex
Begriff »Wissenschaft« nicht etwas wäre, das auch die ionische Naturphilosophie nicht schlecht bezeichnet, dem sich Leute wie Gassendi oder Bruno auf unterschiedliche Weise verpflichtet fühlten und das zwischen Sumer und Ägypten bis zu den Erkenntnisleistungen im mittelalterlichen islamischen Raum offenbar eine eigene geschichtliche Existenz besessen hat (bürgerliche Brezeln übrigens, selbst solche aus der Fabrik, sollen gelegentlich ganz gut geschmeckt haben).
III.
Pyrrho, der skeptische Wiedergänger
Es gibt und gab aber nicht nur eine Geschichte der Wissenschaften von der vorbürgerlichen über die bürgerliche bis in die sich abzeichnende nachbürgerliche Zeit, sondern auch ein Ding, das seine Geschichte hat und seine eigene Arbeitsweise. Rein genealogisch kann man sie nicht verstehen, und man wünscht denen, die das versuchen und etwa über den Zeitumständen der Quantenmechanik ganz vergessen, daß es die Ultraviolettkatastrophe als Theorieproblem für Leute, die von der klassischen Physik herkommen, auch ohne diese Umstände gegeben hätte und man darüber jedenfalls nichts weiß, wenn man nur weiß, von welcher Sorte Philosophie sich Planck und Einstein beeindruckt zeigten – man wünscht sich, wo das vergessen wird, manchmal den Verstand des altgewordenen Engels, der in der Dialektik der Natur sagt, zwar sei das Reifen eines Korns zur Frucht Negation der Negation, aber leider wisse man darüber, wie das zugeht, noch gar nichts, wenn man nur das weiß. Daß man Naturwissenschaften genealogisch nicht besser oder tiefer begreift als etwa experimentell, gilt nicht nur für Genealogien, die dem historischen Materialismus verpflichtet sind, sondern auch etwa für systemtheoretische – wenn das, was sich da »ausdifferenziert«, wie der Sprachgebrauch dort heißt, »Wissenschaft« so gut wie Politik, Religion, Erziehung sein kann, dann muß man immerhin erklären, inwieweit auch das, was vor solcher Funktionssystemausdifferenzierung, vor »Neuzeit« oder »Moderne« oder wie immer sonst man das betreffende novum nennen will, Wissenschaft gewesen sein kann. Pythagoras etwa war ja nicht nur Zahlenmystiker, sondern hat auch ein paar Sätze aufgestellt, die lange nach dem Vergehen seiner Schule und der Glaubenssätze, die man in ihr pflegte, niemand umgestoßen hat, und manch vorbürgerlicher Erdvermesser, Zoologe oder Substanzenmischer braucht sich vor den Leistungen des gegenwärtigen Protokollsatznotiererbeamtenstands oder der R&D-Abteilungen von Weltkonzernen nicht zu schämen.
Man mag sich geirrt haben, man mag windigen Spekulationen zum Opfer gefallen sein, aber was da getrieben wurde, verließ sich doch auf Dinge wie die (noch Eugene Wigner rätselhafte) Effizienz von mathematischen Beschreibungen der Naturvorgänge, die von Reid und Hume problematisierte Möglichkeit, Vorgänge der Zukunft aus denen der Vergangenheit und Gegenwart herauszulesen, auf »Kausalität, den Mörtel des Universums« (Davidson), auf dessen wenigstens relative Isotropie und auf etwas, das dem subtilen »anthropischen Prinzip« gegenwärtiger Kosmologie oft zum Verwechseln ähnlich sieht.
Kopernikus und Linné hatten arabische, ägyptische, griechische und babylonische Vorläufer, die sie anerkannt hätten (das läßt sich in beide Richtungen rechtfertigen).
Sie alle folgen, so zahlreich die Abweichungen, Einbrüche, Zweideutigkeiten dabei sein mögen, in oft verblüffend genau bestimmbaren Bahnen der »rationality of induction«, die David Stoves Hauptwerk von 1986 den Titel geschenkt hat, so ungern Popper, Kuhn, Galison und tutti quanti einzuräumen gewillt sind, daß es etwas Derartiges überhaupt je gegeben hat.
Die »Logik der Forschung«, wie ihr von Popper berühmt gemachter neuzeitlicher Name lautet, ist nicht einfach eine kontingente, irgendwie gewordene Art des Herumprobierens und hypothetiko-deduktiven Puzzlespielens. Daß Popper dann einige Attribute der empirischen Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit, etwa den Fortgang der Erkenntnisbahn durch Verneinung von Elementen, Schemata, Bildern und Erzählweisen zu überwindender Theorien, zu essentiellen Bestandteilen jener Logik erklärt, ist eine Verwechslung von historischer Erscheinung und systemischer Sachzusammenhänge, die eines besonders schläfrigen Plato oder unaufmerksamen Hegel würdig wäre. In Wahrheit hat ein Ding, das eine Entstehung hat, immer auch eine Gestalt, und die wiederum besteht aus Elementen eines gemachten wie (wenn es um Praxis und
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