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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Verwissenschaftlichung war für die gekrönten Häupter der Zeit dasselbe; im Extremfall wurde man dann eben Peitschenmodernisierer wie jener Peter der Große, der 1725 die Sankt Petersburger Akademie der Wissenschaften gründete und als einer der ersten eigene headhunter im benachbarten, nicht immer freundlichen Ausland auf Forscherfang ausgehen ließ, um dort einen brain drain zu organisieren, wie ihn das Gebiet, das er beherrschte, seit dem Untergang der Sowjetunion nun umgekehrt selbst erleidet.
     
    Die »Krise der Naturwissenschaften« in jener Epoche, die wir nach Hilferding, Hobson, Lenin und Hobsbawm Hochimperialismus nennen dürfen, war denn auch auf funktionaler Ebene zuerst eine Staatskrise, eine Staatenkrise, die mit den verschärften Verwertungsengpässen für die Kapitalien beim Versuch, sich weiterhin im nationalstaatlichen Rahmen (»am Standort«, sagt die Rechte) zu realisieren, mehr zu tun hat als mit der Quantenmechanik, dem unerklärlichen Schwinden des Fortschrittsoptimismus in breiten Teilen der Bevölkerung der Metropolen, neuen Perspektiven der Ethnologie und was die genealogisch orientierte Wissenschaftstheorie sonst noch alles dafür verantwortlich macht, daß sie gelernt hat und zu lehren fortfährt, die seit spätestens Bacon erhobenen Objektivitätsansprüche bestimmter Erkenntnisweisen müßten fahrengelassen werden. Vom Absolutismus ist 2011 nicht einmal die interessenabgleichend verwaltende Maschinerie übrig, die er entwickelte.
    – »Der schöne Traum, in dem der Staat als ideeller Gesamtkapitalist die objektiven Interessen der herrschenden Klasse vor der rattenhaften Gier einzelner ihrer Fraktionen schützt, ist ausgeträumt, wenn der Präsident (Barack Obama, K/D), den die Journaille den mächtigsten Mann der Welt nennt, an der Ölpfütze, die einmal der Golf von Mexiko war, als das Schwänzchen des dicken Hundes Ölindustrie wedelt, der er jetzt, fürchterliche Strafe!, droht, ihre Tiefbohrungen in der Antarktis erst ein Jahr später fortsetzen zu dürfen als geplant« 255 –,
    und so macht der zerbröselnde ideelle Gesamtkapitalist eben auch seine Schwarzschild-Institute für Gravitationsforschung und Geometrodynamik dicht, während auf dem freien Markt der Ideen sogenannte »Science Wars« zwischen den Human- und den Naturwissenschaften entbrennen, bei denen es weniger um Wahrheitswerte als vielmehr um knapper werdende Mittel und Aufmerksamkeitsressourcen geht. Wenn irgendein Huntington, eine Alternativbewegung, ein Charles Percy Snow, ein Gadamer oder sonstwer aus der politischen, naturwissenschaftlichen oder auch hermeneutischen Zunftordnung heraus von Kulturunterschieden und gar -kämpfen redet, sind meist ressourcenallokationsregelnde Hütchenspiele gemeint; entnervend daran ist jedesmal, daß dabei etwas mutwillig repartikularisiert wird, was einmal schönste universalistische Aufklärungsblüte war: der Gedanke von »Kultur« als etwas nämlich, zu dem jeweils (das »jeweils« bezog sich allerdings leider schon auf etwas Partikulares, einerseits Sprachräume, andererseits eben entstehende moderne Nationalstaaten nämlich) Kunst und Naturforschung und Humanwissenschaften gehören sollten (noch Adorno, der doch gegen Positivismus und instrumentelle Vernunft, ja gegen die Aufklärung selbst weiß Gott deutlich genug geworden ist, beschwört in Überlegungen zum Zusammenhang von Kultur und Verwaltung noch diese Einheit und Universalität).
     
    In Zeiten, da die Gießkanne den shareholders gehört (aber nicht gehorcht), dient diese Repartikularisierung sozial organisierter Erkenntnisweisen der Ausprägung von Bannerzeichen für Konflikte, die sich dann in allerlei Dekonstruktionsbrimborium versus Gewißheit von der einen (hermeneutisch-geisteswissenschaftlichen) und Entlarvungskinderstreichen versus hochmögenden philosophischen Nonsens von der anderen (naturwissenschaftlich-technischen) Seite her entladen. Das ganze unwürdige Theater spricht dem Gedanken der Universität, wie sie im Mittelalter als Kompromiß junger städtischer Eliten mit der kirchlichen Autorität zustande kam, furchtbar hohn und macht vielleicht nicht den Untergang, wohl aber den von Panajotis Kondylis konstatierten Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform wahrscheinlicher als dreißig Weltwirtschaftskrisen hintereinander.
     
    Eine andere als die bürgerliche Wissenschaft hat die europäische und amerikanische Neuzeit nicht gekannt; das heißt nicht, daß es keine andere geben kann oder der

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